Eine kreative Herausforderung
In einer Karlsruher Kindertagesstätte malen die Kinder inzwischen nur noch auf Papieren, die im Haushalt alltäglich anfallen und eigentlich für den Müll bestimmt waren. Davon profitiert nicht nur die Umwelt, findet die Journalistin Eike Ostendorf-Servissoglou. Das vielfältige Material fordert die Kinder in neuer Art heraus und befeuert ihre Kreativität.
»Was wäre, wenn wir im Kita-Atelier von dem üblichen weißen DIN-A4-Papier auf unterschiedliche Alltagspapiere umsteigen würden?«, fragte sich Daniel Jacobi- Kessel, (Kunst)-Erzieher im element-i Kinderhaus Sportkita Wirbelwind in Karlsruhe. »Wenn wir den Kindern künftig Zeitungen, Tüten, Packpapiere, Briefumschläge, Kartonagen ... zum Malen zur Verfügung stellten?« Nachhaltigkeit sei seit Jahren ein Thema in der Kita, sagt der Pädagoge: »Wir kaufen möglichst plastikfrei ein und achten auf unseren Ressourcenverbrauch. Auch die Kinder binden wir in unsere Umweltschutzaktivitäten ein und gehen z.B. zusammen zum Unverpacktladen.« Im Atelier liegen aber nach wie vor Stapel weißen DIN-A4-Papiers. Die Kinder versehen die Blätter oft nur mit ein paar Strichen. Anschließend landen sie im Müll. Andere basteln einen Papierflieger nach dem anderen. Nach ein paar Flugversuchen wandern sie in die Tonne.
Team und Eltern mit im Boot
Dabei belastet die Papierherstellung unsere Umwelt erheblich: Für ein Kilogramm Papier sind über zwei Kilo Holz und 100 Liter Wasser erforderlich. Ein einziges DIN-A4-Blatt benötigt für seine Herstellung satte zehn Liter Wasser. »Mit diesen Zahlen hatte ich das Team und die Elternschaft auf meiner Seite«, erinnert sich Daniel Jacobi-Kessel. Doch es gibt auch Skepsis: Kolleg:innen aus dem element-i Kinderhaus befürchten, die Kinder würden die ungewohnten Papiere ablehnen und das Atelier schließlich meiden. Und der ein oder andere Elternteil will gerne auch künftig »ordentliche« Kunstwerke seiner Kinder aufhängen können. Doch für einen Projektzeitraum stimmen schließlich alle dem Experiment zu und unterstützen den Erzieher. Denn er ist auf Mithilfe angewiesen. »Alleine konnte ich nicht so viel gebrauchtes Papier anschleppen, wie wir benötigen«, sagt er.
Das Projekt startet schleichend. Zunächst gibt es noch das übliche Malpapier. Doch peu á peu finden sich immer mehr Alltagspapiere im Atelier ein. Das weiße Papier geht irgendwann aus. Der Erzieher spricht mit den Kindern über die Papiere und darüber, warum es wichtig ist, ihnen ein zweites Leben zu geben. Manche der Spenden bereitet der Erzieher vor: Er schneidet Tüten und Kartonagen auf oder glättet zerknäulte Papiere, die in Paketen als Füllmaterial dienten. Außerdem entdeckt er auf einigen Papieren Adressen oder andere persönliche Daten. »Die habe ich sicherheitshalber abgeschnitten oder geschwärzt«, sagt er.
Wie Papiere inspirieren
»Wer sagt uns denn, dass gutes Malpapier weiß und 29,7 mal 21 Zentimeter groß sein muss?«, meint Daniel Jacobi- Kessel. »Damit beschneiden wir unsere Kreativität selbst. Für alle, die dieses Papier einmal begriffen haben, ist es künftig nur die immer gleiche Unterlage, von der keine Impulse ausgehen.« Die ielfältigen Alltagspapiere dagegen regen die jungen Atelierbesucher:innen an: Lukas z.B. entdeckt einen Fenster- Briefumschlag im Format DIN lang. Aufgeschnitten bietet er ihm ausreichend Platz, um ein Haus darauf zu malen. »Das hat ein echtes Fenster«, sagt Lukas. Der hält das gemalte Haus vor sich und schaut von hinten durch das Fenster. »Jetzt bin ich im Haus drin!«, lacht er. Die anderen Kinder im Atelier sind begeistert. Das müssen sie auch machen. Lisa gefällt die Sicht durch das etwas milchige Fensterpapier nicht. Sie schneidet es kurzerhand aus.
Eike Ostendorf-Servissoglou ist Germanistin und seit über 20 Jahren mit ihrem Redaktionsbüro eoscript in Stuttgart selbstständig. Der inhaltliche Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt auf der Frühpädagogik.
Kontakt
Sportkita Wirbelwind: www.element-i.de/kinderhaeuser/sportkita-wirbelwind/
Diesen Beitrag können Sie vollständig neben weiteren interessanten Beiträgen in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 05-06/2023 lesen.