Schwimmen als Beitrag zur Integration
Schwimmfähigkeit gehört zu den wichtigsten Fertigkeiten, die Kinder erlernen können. Dass sich der Aufwand lohnt und Kinder und Eltern happy macht, erlebt das Leitungsteam Britta Barysch und Martin Fulst von der Kita Campuskinder der Medizinischen Hochschule Hannover. Für sie gehört die Wassergewöhnung seit 2022 zum Programm. Freudig, aber auch mit einer gehörigen Portion Respekt sitzen zwölf Mädchen und Jungen aus der Kita Campuskinder der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) auf der Bank im Flur der Kita. Sie warten gespannt darauf, dass es endlich zum Schwimmkurs geht! Ihre Vorerfahrungen sind unterschiedlich und die Nebenwirkungen der Pandemie hinsichtlich ihrer Schwimmfertigkeit nicht zu übersehen. Aber das interessiert unsere Kinder in diesem Moment überhaupt nicht.
Beim Schwimmen sollten alle gleich sein
Durch die Pandemie hat sich in Deutschland die Zahl der Grundschulkinder, die nicht schwimmen können, verdoppelt. Eine repräsentative Umfrage von Forsa verglich Daten von 2017 und 2022 und stellte eine Abnahme von 10 Prozent fest. Nicht nur, dass damit eine hohe Lebensgefahr für Kinder einhergeht, auch der mögliche soziale Ausschluss wiegt schwer. Kinder sind soziale Wesen. Sie wollen dazugehören und merken rasch, wenn sie nicht angenommen werden, wie sie sind. Auch wenn Diversität wichtig ist, weil sie unsere Gesellschaft immens bereichert: In Bezug auf das Erlernen des Schwimmens sollten alle Kinder die gleichen Chancen haben, unabhängig davon, ob ihre Eltern aus den verschiedensten Gründen am Schwimmen nicht interessiert sind, Ängste haben oder Schwimmunterricht finanziell oder zeitlich nicht stemmen können oder wollen. Gerade wenn wir den Blick auf soziale Gerechtigkeit richten: Im Wasser zeigen die Kinder zuweilen ganz neue Seiten von sich, entdecken neue Talente und wachsen über sich hinaus. Was wäre es für ein Verlust, wenn sie diese Möglichkeit nicht geboten bekommen würden.
An erster Stelle Spaß
Deshalb war für uns klar, dass wir zusammen mit weiteren 30 Hannoveraner Grundschulen und Kitas Kooperationspartner der Schwimmoffensive werden, um unseren Teil zu einem sicheren Badesommer für Kinder in der Zeit nach Corona beizutragen. Um die Schwimmfähigkeit der Vier- bis Sechsjährigen zu stärken, finden seit April 2022 zahlreiche zusätzliche Angebote statt. Wir selbst profitierten von diesem Angebot mit bislang sechs kostenfreien Schwimmkursen für jeweils zwölf bis 15 Kinder. Das Einzige, was die Eltern für eine Teilnahme ihrer Kinder tun mussten, war die Bekundung ihres Interesses – ganz niedrigschwellig mündlich oder per E-Mail. Der Ansturm auf die wenigen Plätze war groß. Die Auswahl trafen wir, im Sinne der sozialen Gerechtigkeit, nicht nach dem Motto »Wer zuerst kommt, malt zuerst«, sondern nach dem Alter und den Voraussetzungen der Kinder. Ältere Kinder ohne jegliche Vorerfahrungen oder Schwimmabzeichen erhielten als erste einen Platz. Eltern, die aus verschiedenen Gründen Bedenken hegten, wurden von uns angesprochen und zur Anmeldung ihres Kindes ermutigt. Die positive Resonanz seitens der Eltern war ebenso riesig und vielfältig wie die der Kinder. Ängste wurden von uns adäquat aufgegriffen. Die Vorfreude überwog. Auch bei uns war die Freude groß, denn eines unserer Ziele war, den Kinder den Spaß am Schwimmen und dem kühlen Nass dieser so besonderen Welt – der Wasserwelt – zu vermitteln.
Wechselbad der Gefühle
Es ist ein glücklicher Umstand, dass sich unser Schwimmbad auf unserem eher weitläufigen Betriebsgelände direkt im Nachbargebäude befindet. Ziel des Kurses im Rahmen der Schwimmoffensive ist nicht das Seepferdchen, sondern die Wassergewöhnung. An erster Stelle steht jedoch der Spaß, weil in vielleicht keinem anderen Lernbereich Freiwilligkeit und das Eingehen auf die ganz individuelle Persönlichkeitsentwicklung so wichtig sind wie beim Element Wasser. Auch deshalb macht es Sinn, dass zusätzlich zu den beiden die Übungen anleitenden Schwimmlehrer:innen des Turn-Klubbs zu Hannover immer auch mindestens zwei den Kindern bekannte Fachkräfte mit dabei sind. Sie geben den Kindern Sicherheit und können situativ Impulse geben. So hört man auch an diesem Morgen inmitten des Geplauders der kleinen Gruppe auf dem Weg zum Schwimmkurs ein aufmunterndes »Du schaffst das schon!« oder ein stärkendes »Ich bin doch da«. Clara und Leonie freuen sich bereits seit Wochen auf ihre erste Schwimmstunde, sind aber auch ein wenig am Zaudern, ob ihr Mut am Ende wirklich groß genug sein wird. Andere Kinder strotzen geradezu vor Selbstbewusstsein und überbordender Energie und bekommen von den Begleitpersonen Unterstützung, wieder in ihre eigene Mitte zu finden. Die Begeisterung versiegt jedoch auch bei ihnen nicht, und das ist auch gut so. Die Energie begeisterter Kinder kann für die zurückhaltenden Kinder eine gute Unterstützung sein, selbst in eine positive Stimmung zu kommen. Ein bekanntes Phänomen, nicht nur in der pädagogischen Praxis. Unterstützend ist zudem für alle Kinder, die gefühlsstarken wie auch die zurückhaltenden, miteinander zum Schwimmkurs zu gehen und nicht mit anderen, ihnen unbekannten Kindern. Das Wechselbad der Gefühle aller Kindern auf ganz unterschiedlichen Ebenen bemerken wir auch in der Umkleidekabine und auf dem Weg zum Beckenrand. Die Kinder wachsen während dieser Lern- und Entdeckungsreise im und am Element Wasser über sich hinaus.
Martin Fulst ist Diplom-Sozialpädagoge und Diplom-Religionspädagoge. Gemeinsam mit der Erziehungswissenschaftlerin Britta Barysch M.A. leitet er die MHH Kita Campuskinder in Hannover. Die Betriebskita schaffte es 2023 auf den 2. Platz des Deutschen Kita-Preises. Informationen zur Schwimmoffensive Hannover bietet die Website www.schwimmoffensive-hannover.de. Die beste Adresse, um zu erfahren, wo deutschlandweit kostenfreie Schwimmkurse angeboten werden, ist die ortansässige DLRG.
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Diesen Beitrag können Sie vollständig neben weiteren interessanten Beiträgen in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 05-06/2023 lesen.