Von der Co-Regulation zur Selbstregulation (Teil 2)
Krisen sind Teil des Lebens – auch für die Jüngsten. Ihr Kummer ist für uns nicht immer leicht auszuhalten und doch brauchen sie genau das: Erwachsene, die in gutem Kontakt mit sich selbst sind und bleiben, auch wenn’s schwer fällt. Wie wir Babys und Kleinkinder in herausfordernden Zeiten, z.B. der Eingewöhnung, dem Verlust des liebsten Kuscheltieres und auch bei Kummer, der kaum nachvollziehbar scheint, einfühlsam begleiten können und welche Rolle unsere Körperwahrnehmung dabei spielt, weiß Thomas Harms, Körperpsychotherapeut und Autor von »Emotionelle Erste Hilfe« und »Keine Angst vor Babytränen«.
Kinder berühren durch ihr präsentes Wesen, ihre Aufrichtigkeit. Sie leben und fühlen im Moment und drücken das auch aus.
Babys und junge Kinder sind lebendige und ausdrucksstarke Wesen. Ihre Präsenz berührt den wahren Kern unserer Persönlichkeit und weckt das Schönste in uns, aber auch das Schrecklichste – abgewehrte und nicht reflektierte Schatten unserer Persönlichkeit. In gewisser Weise sind sie Spiegel, die uns an vergessene und ungelebte Seiten des Menschseins erinnern.
Sie sprechen vom Kind als gleichwertigem Beziehungspartner. Damit ist nicht gemeint, dass wir mit Kindern – wie mit einer Art kleinen Erwachsenen – über alles sprechen sollten?
Nein, ganz sicher nicht. Kinder brauchen unmittelbare, körperlichemotionale Begegnungen und Beziehungen und eine dementsprechende Kommunikation. Ich kann z.B. zu einem Kind, dem ein anderes Kind etwas weggenommen hat, sagen: »Oh ... ich merke gerade, du bist total wütend und zornig darüber, dass man dir das jetzt weggenommen hat.« Kinder brauchen keine Erklärung, keine kognitive Einbindung, wie wir Erwachsene sie uns wünschen. Das ist bei Kindern oftmals völlig inadäquat und vergeudete Zeit. Kinder brauchen eine Landebahn. Sie brauchen ein Gegen- über, das in einer guten Verbindung mit sich selbst ist – jemanden, der auch ihre starken Emotionen aushalten kann, ohne gleich damit etwas tun zu müssen und ihnen auf die- sem Weg Raum, z.B. für ihren Ausdruck der Wut und des Zornes, gibt.
Was erfährt das Kind in diesem Raum?
Es erfährt, dass es nicht falsch ist und nicht anders sein muss und es so fühlen darf, wie ihm jetzt gerade zumute ist. Wir geben ihm Anerkennung und Bezeugung für das, was ist. Und das ist dann schon der erste Schritt zu einem Sicherheitsaufbau seitens des Kindes. Wenn es uns gelingt, eine herausfordernde Situation zu verlangsamen, die Inten- sität des Kindes aufzunehmen und kindgerecht zu spiegeln und zu versprachlichen, merkt das Kind, dass jemand bei ihm ist, der es hört, versteht und erkennt. Eine Auswertung, Reflexion und Erkenntnisbildung, beginnend z.B. mit der Frage »Was findest du denn ungerecht?«, sollte immer erst der zweite Schritt sein. Der Biologe und körperorientierte Trauma-Therapeut Peter A. Levine nennt das unsere Reptiliensprache. Bei dieser Sprache verbinden wir uns mit unserem eigenen Erleben und Empfinden, um in Kontakt mit dem Erleben und Empfinden des Kindes zu kommen. Diese Fähigkeit ist eine zentrale Voraussetzung für eine körper- und bindungsbasierte Kommunikation.
Was unterscheidet eine solche körper- und bindungsbasierte Kommunikation z.B. von der gewaltfreien Kommunikation?
Wir teilen in unserer Arbeit zentrale Prinzipien der Gewaltfreien Kommunikation (GFK) des Psychologen und Mediators Marshall B. Rosenberg. Im Unterschied zur GFK erfassen wir nicht nur den sprachlichen Austausch, sondern auch das körperliche Empfinden, die Selbstwahrnehmung der KlientInnen. Wenn wir sehen, dass ein Kind in einer starken Erregung ist, eventuell zittert, beziehen wir uns nicht aus- schließlich auf die kognitive Situation, sondern auch auf die sicht- und erlebbare Verfassung des Körpers.
Thomas Harms ist Körperpsycho- und Babytherapeut und Autor. Seit drei Jahrzehnten arbeitet er therapeutisch mit bindungsschwachen Babys und Kleinkindern und bildet professionell im frühkindlichen Bereich Tätige aus.
Kontakt
www.thomasharms.org
www.zeppbremen.de
Den vollständigen Beitrag und weitere Artikel zum Thema können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 01-02/2022 lesen.