Bildungseinrichtungen, in denen nur drinnen gelernt wird, sind nicht zukunftstauglich. Kinder sollten ihre Lernprozesse selbstständig gestalten – und Lernen kann überall und zu jeder Zeit stattfindet, drinnen und draußen, zwischen Büchern und im Freien, meint Laura Malavasi.
Die körperliche und geistige Balance, die in den ersten Lebensjahren von tiefgreifender Wichtigkeit ist, wird ab der Vorschulzeit häufig beeinträchtigt. Während die Kinder aufwachsen und eine Schulform nach der anderen durchlaufen, können die wechselseitige Beziehung und das Gleichgewicht zwischen ihrem Geist und ihrem Körper, ihr emotionales Wohlbefinden, ihre Sinneswahrnehmungen, ihre Bewusstsein für eigene körperliche Bedürfnisse und ihre kognitiven Fähigkeiten unter Druck geraten, sich verändern und sich sogar zurückentwickeln.
Aber welche Art von Bildung und Wissen wollen wir für die Zukunft? Als eine Voraussetzung gut fundierten Wissenserwerbs heben viele Studien die Bedeutung realer Erfahrungen hervor, durch die Kinder herausgefordert werden, tatsächlich »etwas zu tun«, wobei sie ihre Hände benutzen und die Dinge selbst einordnen und ihnen einen Sinn geben können. In unseren pädagogischen Projekten wird allzu oft über die Bedeutung solcher Erfahrungen gesprochen, die unverzichtbar für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen sind – und doch wird diese Erkenntnis nicht in konkreten Maßnahmen umgesetzt.
Die Kluft zwischen Theorie und Praxis ist tief. Mit zunehmendem Alter der Kinder liegt der Fokus weiterhin darauf, dass sie Bildungsstufen absolvieren, und wieder werden der Körper, die eigenen Hände, die gesamte Leiblichkeit zugunsten des Geistes und des Intellekts vernachlässigt. Auch die Universität interessiert sich mehr für den Geist als für den Körper. Die Beziehung zur Natur hat hier keinen Platz. Dabei sind Natur und naturnahe Außenbereiche ein ausgezeichnetes »Übungsgelände«, in dem Menschen experimentieren und trainieren können, wo sich die Aktivitäten von Körper und Geist miteinander verbinden lassen und wo der Mensch als Ganzes einen Platz für diesen inneren Dialog findet.
Wie Kinder rausgehen
Um diese Entwicklung umzukehren, müssen wir von Anfang an in eine Bildung investieren, in der die Kinder authentische und tiefgehende Lernerfahrungen machen können, die alle Sinne anspricht und ihre Fähigkeit herausfordert, sich selbst Fragen zu stellen, Antworten zu finden und der eigenen Neugier nachzugehen. Wir Erwachsenen, ErzieherInnen und LehrerInnen, haben viele Hindernisse dafür geschaffen. Wir sagen oft Dinge wie: »Wir haben keine Zeit; wir müssen uns an den Lehrplan halten; die Familien sorgen sich darum, dass die Kinder krank werden, wenn sie draußen sind; draußen ist nichts Neues; wir sind ja immer schon mit den Kindern rausgegangen, damit sie ein bisschen toben und sich dann beruhigen, und fertig.« Diese Haltungen sind ein Spiegelbild der Ängste der Erwachsenen.
Dass Bildung anders betrachtet werden kann, stößt bei pädagogischen Fachkräften auf Angst und mangelnden Veränderungswillen. Der Widerstand des Gewohnten berücksichtigt nicht die kinderspezifische Perspektive, sich in der Welt zu bewegen, zu denken und Beziehungen aufzubauen. Die Denkweise von Kindern ist geradlinig und kraftvoll. Sie sind begierig darauf, die Welt zu entdecken. Und die Welt draußen – außerhalb unserer Kitas und Schulen, vor allem im räumlichen Sinn – ist viel realer. Wir sollten diesen Anteil an Bildung, der der realen Welt am nächsten ist, ausbauen.
Das bedeutet natürlich, dass wir die Art und Weise, wie wir die Dinge betrachten, ändern müssen. Wir könnten bei der genauen und sorgfältigen Beobachtung anfangen, wie Kinder in Innen- und in Außenräumen reagieren, und daraus lernen. Wir müssen etwa akzeptieren, dass Kinder und Erwachsene sehr unterschiedliche Ansätze haben, um nach draußen zu gehen. Erwachsene gehen normalerweise mit einer genauen Absicht aus dem Haus, sie verfolgen ein Ziel und einen Zweck: Materialien sammeln, einen Ausflug machen, ein Insekt, eine Blume oder eine Frucht suchen. Sie halten die Augen offen, aber mit einem bestimmten Ziel.
Dann kehren sie in die Innenräume zurück, um das, was sie draußen erlebt haben, nachzubilden, die gesammelten Materialien zusammenzustellen, zu sortieren, zu organisieren oder zu klassifizieren und weiter zu studieren. Kinder dagegen gehen hinaus, um Beziehungen zu erleben, zu erforschen, neue Dinge zu finden und ihre Umgebung kennenzulernen. Sie schauen nach allem aus, was sie noch nicht entdeckt haben und was ihre Neugierde wecken könnte. Sie verbinden das theoretische Wissen, das sie im Unterricht drinnen erworben haben, und wenden es außen an, um es zu verifizieren, zu bereichern, und um sich zu bewegen und ihre Vorstellungskraft zu nutzen.
Laura Malavasi beschäftigt sich mit Bildungsprozessen bei Kindern zwischen null und zwölf Jahren und arbeitet an Lehrplänen mit. Ein besonderer Schwerpunkt ihrer Arbeit ist das Lernen in der freien Natur. Sie schreibt für Fachzeitschriften und hat zahlreiche pädagogische Fachbücher verfasst.
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe KINDER in Europa heute 02/19 lesen.