Die westlichen Gesellschaften sind zunehmend auf Sicherheit bedacht – das hat auch Konsequenzen für die Spiel und Erfahrungsmöglichkeiten von Kindern. Die norwegische Forscherin für frühkindliche Bildung geht der Frage nach, ob wir unsere Kinder zu sehr beschützen.
Die pädagogische Forschung zeigt immer wieder, dass Kinder aktive EntdeckerInnen sind, die das riskante Spiel suchen und sogar anderen Spielformen vorziehen. Riskantes Spielen kann auf körperliche Risikobereitschaft abzielen, bei dem Kinder ihre Fähigkeit zu kämpfen und ihre körperliche Stärke testen. In Play Fighting, dem klassischen Werk über das Spiel bei Tieren und Menschen, weist Owen Aldis nach, dass ein großer Teil von Kinderspielen mit Angst zu tun hat und dass bereits kleine Kinder aktiv den Nervenkitzel suchen, den Schaukeln oder das Hinabspringen aus größerer Höhe auslösen.
Sowohl wissenschaftliche Spielbeobachtungen als auch Interviews mit Kindern darüber, was sie zu riskantem Spielen veranlasst, deuten darauf hin, dass die hauptsächliche Motivation für diese Art Spiel die ambivalenten Erfahrungen sind, die die Kinder dabei machen. Meine eigenen Studien zeigen, dass Kinder hier von besonders angenehmen Emotionen motiviert werden: einem hohen Erregungslevel sowie der Befriedigung, ein Risiko einzugehen, sich »etwas zu trauen«. Um diese Emotionen zu erleben, integrieren sie verschiedene erregungssteigernde Strategien in ihr Spiel. Dazu gehört, die potenzielle Fallhöhe oder die Geschwindigkeit ihres Spiels zu vergrößern, unüberlegter zu handeln, riskantere Handlungsoptionen zu wählen oder absichtlich an der Grenze zur Angst zu balancieren. Im Spiel Risiken einzugehen, bedeutet gleichermaßen Angst wie begeisterte Aufregung, und dieser ambivalente Gefühlszustand ist es, den Kinder im riskanten Spiel suchen.
Was lernen Kinder beim riskanten Spielen?
Einer der großen Vorteile des riskanten Spielens sind die »Lektionen fürs Leben«, die die Kinder unbewusst lernen, während sie den Umgang mit Gefahren üben. Mehrere ForscherInnen argumentieren, dass das riskante Spiel eine Möglichkeit für Kinder ist, ihre Risikokompetenz zu verbessern. Kinder nähern sich ihrer Umwelt spielerisch, Neugier und ein Bedürfnis nach Aufregung treibt sie an. Sie erproben den Umgang mit realen Risikosituationen durch riskantes Spielen und entdecken dabei, was sicher ist und was nicht. So können sie eine realistische Vorstellung vom objektiven Risiko dieser Situation gewinnen.
Die Soziologin Marit Boyesen erklärt: Um zu lernen, wie man eine riskante Situation bewältigt, muss das Kind sich der Situation auf irgendeine Weise annähern und damit das Risiko zunächst erhöhen. Weitere Studien betonen, wie wichtig es ist, dass Kinder durch das Eingehen von Risiken im Spiel ein gesundes Risikoverhalten entwickeln können. Eine Studie aus Großbritannien stellt fest, dass die wichtigsten Vorteile von Risiken im Spiel darin bestehen, Kindern zu ermöglichen, ihr Können auszuprobieren, neue, universal anwendbare Fähigkeiten zu entwickeln und die Folgen ihres riskanten Verhaltens kennen zu lernen.
Owen Aldis veranschaulicht, wie kleine Kinder nach und nach beginnen, riskant zu spielen und immer weiter dem Nervenkitzel zu folgen, der ihnen hilft, die damit verbundenen Herausforderungen zu bewältigen. Dadurch wird ihre subjektive Wahrnehmung des Risikos realistischer. Beim riskanten Spielen bereiten sich Kinder also auf den Umgang mit tatsächlichen Risiken und Gefahren vor – es handelt sich um durchaus ernstzunehmendes Risikomanagementtraining.
Motorik und Wahrnehmung
Doch riskante Aktivitäten, die mit Höhe und Geschwindigkeit zusammenhängen – wie Rutschen, Schaukeln, Klettern und Radfahren – haben noch weitere Vorteile. Sie sind wichtig für das Erkunden der eigenen Umwelt und das stetige Verbessern ihrer motorischen Fähigkeiten, zur Förderung von Muskelkraft, Ausdauer und körperlicher Widerstandskraft. Spiele, die körperlich ausagiert werden, können als Trainingsmaßnahmen für das sich entwickelnde Kind betrachtet werden. Dazu gehört auch das Training von Wahrnehmungskompetenzen, etwa der Tiefen-, Form-, Gestalt-, Größen- und Bewegungswahrnehmung und der räumlichen Orientierungsfähigkeit.
Kinder, die sich von der ständigen Beaufsichtigung lösen dürfen, können die eigene Welt erforschen und in ihr zu Hause werden. Die US-amerikanischen Psychologen David F. Bjorklund und Anthony Pellegrini führen aus, dass Kinder ihre Umgebung kennen lernen, indem sie ständig neue Bereiche und Objekte erkunden. Durch das Erforschen der Umwelt werden sie vertraut mit ihren Potenzialen und Gefahren und eignen sich Wissen über sie an.
Ellen Beate Hansen Sandseter lehrt am Queen Maud University College in Trondheim. Das Recht von Kindern auf riskantes Spielen ist ihr besonderes Anliegen.
Blog: ellenbeatehansensandseter.com
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe KINDER in Europa heute 02/19 lesen.