Ungarn ist eines der neuesten Mitgliedsländer der Europäischen Union. Marta Korintus betrachtet die Geschichte der ungarischen Kindertagesstätten.
Einrichtungen für junge Kinder gab es in Ungarn schon vor mehr als 150 Jahren. Einige wurden von Einzelpersonen gegründet, andere von privaten Vereinen. Zwei Arten von Tagesstätten entwickelten sich: bölcsöde (Zentren für Kinder unter drei Jahren) und óvoda (Zentren für Kinder zwischen drei und sechs Jahren). Beide Arten von Einrichtungen wurden sowohl von Einzelnen als auch von privaten Vereinen gegründet.
Beim Aufwachsen der Kinder helfen
Der erste Kindergarten (óvoda) wurde in Buda gegründet, einer der drei Städte, zu denen auch Pest gehört, aus denen später Budapest wurde. Er wurde 1828 von Teréz Brunszvik gegründet, und zwar nach ihren Besuchen in Schulen, die der Schweizer Pädagoge Pestalozzi und der britische Pädagoge Wilderspin leiteten.
Ziel des Zentrums war es, Kindern aus armen Familien Schutz und Unterstützung zu bieten. Die ersten Beschäftigten im Kindergarten waren damals fast ausschließlich Männer, was sicherlich die pädagogische Tradition der Zeit widerspiegelt. Ihre Aufgabe war nicht die Bildung der Kinder, sondern es ging darum, die Kinder großzuziehen (nevelés), ihre Fähigkeiten und Gefühle zu entwickeln, und zwar durch liebevolle Beziehungen, das Vorleben guter Beispiele und durch Gesang. Trotz dieser unterschiedlichen Methode sahen die Einrichtungen, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gegründet wurden, doch sehr wie zeitgenössische Grundschulen aus, sowohl was die Organisation als auch was die genutzten Methoden betraf. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden die Unterschiede zwischen Kindergärten und Grundschulen deutlicher.
Die erste Krippe (bölcsöde) wurde in Pest im Jahre 1852 eröffnet. Ihr Ziel war es, Kinder von armen Müttern zu beaufsichtigen, während die Mütter arbeiteten. Für die damalige Zeit waren die Ziele sehr progressiv: Es ging darum, die Kleinkinder zu pflegen und zu betreuen und dazu beizutragen, dass sich ihr Familienleben verbesserte. Arbeitende Mütter konnten ihr Kind früh am Morgen in der Krippe lassen, wo die Kinder gebadet und von einem Arzt untersucht wurden. Im Laufe des Tages bekamen sie ihre Mahlzeiten und konnten unter der Aufsicht von Erwachsenen spielen.
Staatliche Unterstützung für berufstätige Mütter
Nach dem zweiten Weltkrieg ging die Entwicklung von Kindereinrichtungen in die Verantwortung des Staates über. Der Grundsatz der Gleichberechtigung der Frau galt, und neben dem Recht der Frauen zu studieren und zu arbeiten wurde auch ihr Recht auf Mutterschaft anerkannt. Der Staat teilte die Verantwortung für die Kinderbetreuung mit den Eltern und sorgte dafür, dass die Zahl der Plätze in Krippen und Kindergärten wuchs. Damit unterstützte er die Berufstätigkeit der Frauen, ihre Teilnahme am Arbeitsmarkt und am öffentlichen Leben. 1954 bzw. 1953 wurden die ersten nationalen Richtlinien für die Arbeit mit Kindern in Kindertagesstätten veröffentlicht.
Während der 60er und 70er Jahre wurden viele neue Kindereinrichtungen für Kinder, die noch nicht zur Schule gingen, entworfen und gebaut. Kindereinrichtungen zu betreiben war ausschließlich Aufgabe des Staates. Das System war zentralisiert und erlaubte kaum differenzierte Ansprüche. Zentrale Richtlinien regelten die Größe der Räume und es gab Auflagen für die erforderlichen Innenbereiche und Räume wie Toiletten, Wasch- und Umkleideräume, für Küchen und Extraküchen für die Nahrung für Babys, für das Arbeitszimmer des Kinderarztes und den Umkleideraum und den Speiseraum für das Personal. Im Ergebnis der Regulierungen sahen die Gebäude, ob sie nun Krippen oder Kindergärten waren, mehr oder weniger gleich aus. Und obwohl die beiden Arten von Einrichtungen unter unterschiedlicher Aufsicht standen (für die Krippen war das Gesundheitswesen zuständig, für die Kindergärten das Bildungswesen), war die Idee doch dieselbe: einen Vollzeitservice für die Kinder anzubieten, der den ganzen Arbeitstag der Erwachsenen abdeckte. Daher wurden die Räume entsprechend ähnlicher Ideen und Vorstellungen von Gesundheit und Hygiene und nach ähnlichen Konzepten für die Betreuung gestaltet. Nur das pädagogische Konzept war für die Kinder zwischen drei und sechs Jahren wichtiger.
In Folge der Erweiterung der Angebote in den 60er und 70er Jahren wurden viele neue Kindergärten gebaut und die flächendeckende Versorgung mit Kindergartenplätzen für Kinder zwischen drei Jahren und der Einschulung wurde fast erreicht. Die Zahl der Krippenplätze blieb jedoch viel niedriger. Ein Grund dafür war eine neue Regierungspolitik. Trotz der Beschäftigungspflicht für alle Männer und alle allein stehenden Frauen wurde in der zweiten Hälfte der 60er Jahre eine Form des bezahlten Elternurlaubs, anfangs nur für Mütter, eingeführt. Der Urlaub ging bis zum dritten Geburtstag des Kindes und wurde von fast allen Eltern in Anspruch genommen.
Von der Mitte der 80er Jahre an führten sinkende Geburtsraten und finanzielle Schwierigkeiten der Einrichtungen dazu, dass es weniger Plätze gab und einige Einrichtungen ganz geschlossen wurden. Zwischen 1984 und 2003 verschwanden mehr als die Hälfte der Krippenplätze und ein wesentlicher Teil der Kindergartenplätze. Heute existieren noch Krippenplätze für ungefähr neun Prozent der Kinder unter drei Jahren und Kindergartenplätze für ungefähr 90 Prozent der Kinder zwischen drei und sechs Jahren.
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe KINDER in Europa 08 lesen.
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