Partizipation und Beschwerdekultur: Erste Schritte zur Teilhabe
Als unsere Redakteurin Jutta Gruber die Dresdner Kita Löbtauer Schmetterlinge besuchte, war sie von der Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit beeindruckt, mit der die Kinderrechte ernst genommen werden und das Team im Rahmen der Qualitätsentwicklung die Beschwerdekultur für Kinder voranbringt (»Partizipation verleiht Flügel« in Betrifft KINDER 01-02/24). Ein knappes Jahr später fragt sie nach, welche Vorhaben weiterentwickelt wurden und wie partizipative Projekte hier und in der mit den Löbtauer Schmetterlingen in fachlichem Austausch stehenden Kita Entdeckerkiste konkret umgesetzt werden. Ein Beitrag über Gemeinsamkeiten und Unterschiede und Partizipation, die nicht von oben verordnet, sondern von oben nach unten gelebt wird.
Manchmal passt nicht alles, was ich in einer Kita erlebe, in einen einzigen Beitrag. Gut möglich, dass die stellvertretende Leitung Sandy Pruditsch genau das ahnte, als sie mich vor etwa einem Jahr in Dresden mit den Worten »Frau Gruber, man sieht sich immer zweimal im Leben!« verabschiedete. Tatsächlich kamen mir ihre Einrichtung, die Löbtauer Schmetterlinge, und die mit ihr in fachlichem Austausch arbeitende Kita Entdeckerkiste wieder in den Sinn, als sich meine Gedanken durch den Themenkreis Wählen-Teilhabe-Beschwerdekultur bewegten. Beide Einrichtungen arbeiten unter dem Dach der INDEPENDENT LIVING Stiftung, die sich »selbstbestimmtes Leben« auf die Fahne geschrieben hat und auf Vorbildwirkung setzt.
Im Gespräch mit Sandy Pruditsch und Katja Güntner, Leitung der Entdeckerkiste, erfahre ich von der Gremienarbeit in der Stiftung und erfahre staunend von Katja Güntner, dass Beschwerdemanagement ein fester Bestandteil dieser Gremienarbeit ist: »Thematisiert werden unsere Beschwerden, aber auch die der Eltern und der Kinder. Zu erfahren, dass alles was man sagt, ernst genommen und aufgenommen wird, stärkt das Gefühl, gehört zu werden und die Erfahrung, dass man mitbestimmen und wählen kann, und die Bereitschaft mit den Kindern ebenso umzugehen.«
Von oben nach unten
Sandy Pruditsch bringt es auf den Punkt: »Konsequenzen abschätzen und sich am Ende für etwas entscheiden, ist ja ein Entwicklungsprozess und den können wir in Gesprächskreisen, die Kindern Raum für Nöte, Fragen und Wünsche geben, so begleiten, dass die Lösung, die gefunden wird, nicht die Bedürfnisse Einzelner befriedigt, sondern auch wirklich die richtige Lösung für alle ist. Man kann Partizipation nur leben, wenn es von oben nach unten gelebt und nicht von oben nach unten verordnet wird.« Dafür müsse man auch bereit sein, viele Gewohnheiten zu reflektieren. »Das ist gar nicht so einfach. Praktikant:innen oder neuen Mitarbeiter:innen aus Einrichtungen, in denen den Kindern alles vorgebetet wird, kriegen bei uns regelmäßig einen regelrechten Alltagsschock, wenn ihnen bewusst wird, was die Kinder hier alles dürfen. Daran merken wir, dass wir doch so manches bereits hinter uns gelassen haben.« Damit ich eine konkrete Vorstellung von den Gesprächskreisen bekomme, führt sie fort: »Statt eines täglich stattfindenden Frontal-Morgenkreises mit Teilnahmepflicht, wie er in vielen Kitas nach immer wiederkehrendem Schema abläuft – wie viele Kinder sind da, wer fehlt, welchen Wochentag, welchen Monat und welche Jahreszeit haben wir heute, wer möchte etwas erzählen –, laden wir themenbezogen zu Gesprächskreisen ein. Die Anlässe sind unterschiedlich. Das kann eine Aufklärung sein, wie im Frühjahr die Pilzbelehrung, in der die Kinder erfahren, dass und warum sie die Pilze, die sie im Garten finden, nicht essen dürfen und sie ein:e Erzieher:in über den Fund informieren müssen, oder wenn es eine Beschwerde gibt.« Bei akuten Themen würden die Kinder auch schon mal spontan zusammengeholt, üblicherweise aber seien die Termine vorab bekannt.
Die richtige Lösung für alle
Derzeit in Bearbeitung sei die Taxibeschwerde: »Es geht um die Beschwerde eines Kindes, dass bestimmte Kinder immer das Taxi – gemeint ist unser blaues Tretauto, mit dem ein oder sogar zwei Kinder umhergefahren werden können – für ihre Zwecke blockieren. Sei es, dass sie damit ständig herumfahren oder vielleicht sogar nur drauf sitzen und malen, obwohl man, so das Kind: :bei uns doch auch sonst überall malen kann.« Das Kind habe sich damit an eine Erzieherin gewandt, und »weil das ein Thema ist, über das gemeinsam entschieden werden muss, haben die beiden das Fahrzeug fotografiert und mit dem Einser- Würfel – als Hinweis, in welche Richtung die Beschwerde geht: »Wir haben nur ein Taxi« – an unsere Beschwerdewand gepinnt, zusammen mit einem Foto des sich beschwerenden Kindes und seiner Emotion sowie dem Tag, wann die Kinder, die das Thema interessiert, zum Gesprächskreis zusammenkommen.«
Die Kitas Löbtauer Schmetterlinge und Entdeckerkiste sind zwei von insgesamt 43 Einrichtungen des im Trägerverbund INDEPENDENT LIVING Stiftung. Die Stiftung fördert Entwicklungsbedingungen von Kindern und Jugendlichen und steht für Werte wie Respekt, Vielfalt und Selbstbestimmung. Im Sinne der Partizipation beteiligt die Stiftung ihre Mitarbeiter:innen bewusst an allen, ihre Angelegenheiten betreffenden Entscheidungen.
Kontakt
www.independentliving-stiftung.de
Den vollständigen Beitrag und weitere Artikel zum Thema können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 07-08/2024 lesen.