Interreligiöser Dialog überwindet Krisen
Die Hoffnung auf Frieden treibt die mutigen Frauen des Drei-Religionen-Kita-Hauses schon seit über zehn Jahren an. Die Leiterin der muslimischen Kita Regenbogenkidz Iman Andrea Reimann, die Vorständin des Evangelischen Kirchenkreisverbandes Kathrin Janert und die Leiterin der jüdischen Masorti Kita Sabine Witte schaffen in Berlin mit ihren Kitakindern ein lebendiges Miteinander zwischen Islam, Christentum und Judentum. Im Interview teilen sie mit uns ihre jahrelange Expertise dazu, wie Brücken gebaut werden können, auch wenn die Gräben noch so groß erscheinen. Der aktuelle Krieg im Nahen Osten macht umso deutlicher, wie wichtig diese Arbeit ist. Redakteurin Emilia Miguez hat mit den Frauen gesprochen.
Was hat sich seit dem 7. Oktober 2023 für euch verändert?
Sabine Witte: Im Moment kann ich keine pauschale Antwort geben. Ich kann jedoch sagen, dass sich der Kita-Alltag wieder normalisiert hat, und das aktuelle Kriegsgeschehen wieder mehr auf die Erwachsenenebene gerückt ist. Den Kita-Alltag bewältigen die Kolleg:innen und ich endlich wieder mit mehr Leichtigkeit. Es war für uns viel Arbeit und ist noch täglich sehr viel Arbeit, die Erwachsen immer wieder daran zu erinnern, dass die Umstände für Kinder nur sehr schwer zu verarbeiten sind. Antisemitismus hat es immer gegeben, und so haben wir diese Thematik leider fast pausenlos um uns herum. Gerade haben sich die Ängste, das Unverständnis, die Irritation und bei einigen auch die Wut potenziert. Zwischendurch gibt es immer mal wieder neue erschreckende Nachrichten oder Erfahrungen von Familienangehörigen, die in der Armee dienen müssen, oder andere Begebenheiten, die mit dem Konflikt zusammenhängen. Wir helfen, die Eltern zu beruhigen und Hoffnung zu schenken. Kurz nach dem 7. Oktober war ich in absoluter Schockstarre, anders kann ich das nicht beschreiben. Bewegungslosigkeit, Atemlosigkeit und einfach nur Angst.
Iman Andrea Reimann: Meine Kindergartenkinder besuchen immer wieder die Kinder der Masorti Kita. Als wir zu Chanukka in der Masorti Kita zu Besuch waren, hatte ich vorgeschlagen, dass die Kinder auch zu uns kommen können. Danach wurde uns jedoch klar, dass die jüdischen Kinder gerade gar
nicht rausgehen dürfen. Umso wichtiger sind deshalb Begegnungen, die wir Erwachsene schaffen. So können auch die muslimischen Kinder merken, dass es eine Betroffenheit gibt. Wenn es palästinensische Verwandte gibt, dann merken sie die Betroffenheit ja sowieso. Dass wir unsere Freundschaft weiter pflegen und wir uns gegenseitig etwas Gutes tun, das ist für unsere Arbeit sehr wichtig. Dabei helfen z.B. Bücher. Ich habe ein gutes Buch über Chanukka gefunden, in dem es darum geht, dass eine jüdische Familie angegriffen wird, und eine Freundin des Kindes malt ein Bild und hängt das in ihr Fenster. Daraufhin macht die ganze Stadt es nach, und alle Fenster leuchten mit den Bildern und Lichtern für Chanukka. Diese Geschichte zeigt uns: Wir können alle aufstehen und uns gegen Unrecht zur Wehr setzen. Außerdem greife ich auf, wenn von Kindern beim Frühstück oder Mittagessen Fragen kommen. Ich gebe ihnen den Raum, über die Dinge zu sprechen, die sie sehen oder mitbekommen. Für uns als Team des Drei-Religionen-Kita-Hauses bewährt sich gerade jetzt, dass wir schon so lange befreundet sind. Wir haben bereits darüber gesprochen, wie sich Antisemitismus anfühlt und wie man das nachvollziehen kann. Unsere jüdischen Partner:innen brauchten nach dem 7. Oktober Zeit, und es war gut, einander Zeit und Raum zu geben.
Sabine Witte: Ja, danke Iman, dass du das erwähnst. Für uns ist das so normal, dass wir uns in solchen Situationen nicht mehr bewegen und zeigen dürfen. Unsere Sicherheitsabteilung sagt häufiger: alle Symbole runter, nicht mehr Hebräisch sprechen und das Haus nicht mehr verlassen. Das ist für mich schon so normal, dass ich gar nicht mehr erwähne, wie schrecklich es ist. Ich schätze die Zusammenarbeit im Team des Drei-Religionen-Kita-Hauses so unendlich, weil das unseren Kindern und Familien Offenheit vermittelt und zeigt, dass wir nicht aufgeben. Wir glauben an ein Miteinander, an eine friedliche Koexistenz und einen friedlichen Austausch. Hier ist eine Anekdote: Ich habe mich so riesig gefreut, als die Regenbogenkidz von Iman kamen und Chanukka-Kekse mitbrachten, die sie in einer Bäckerei hatten backen lassen. Das war so unglaublich, denn die Hoffnung war vor diesem Moment kurz versiegt. Unser Projekt, in diesem konkreten Fall die Regenbogenkidz, brachten sie zurück. Danke!
Kathrin Janert: Auch bei uns herrschte erst mal dieses Schockgefühl, vor allem bei den Mitarbeiter:innen. Eine Sprachlosigkeit, das Nicht-einordnen-Können und nicht zu wissen, was das jetzt für den pädagogischen Alltag bedeutet. Wir haben ja Einrichtungen in Reinickendorf, Kreuzberg oder Wedding, wo wir sehr unterschiedliche Eltern haben – auch arabische, jüdische und palästinensische Familien. Ich hatte das Gefühl, es entstand schnell ein Druck, sich positionieren zu müssen. Das kam dann vor allem mit den pro-palästinensischen Demonstrationen. Ab diesem Zeitpunkt bin ich mit den Kitaleitungen in engen Austausch gegangen darüber, wie wir darauf reagieren sollten. Wie viel Raum geben wir Eltern in Bezug auf ihre Haltungen und Positionen in Diskussionen? Uns hat sehr geholfen, rote Linien festzulegen. Was ist mit unserem Leitbild vereinbar, und wie positionieren wir uns als Kita-Team? Da wurde klar: Wir positionieren uns gegen jede Form von Ausgrenzung und Antisemitismus, auch gegen die islamophoben Tendenzen, die später dazukamen. Für uns war jede Aussage gegen das Existenzrecht Israels ein Schritt über diese rote Linie. Diese klare Positionierung hat den Kitaleitungen geholfen. Es hat außerdem verdeutlicht, was eigentlich unsere Aufkleber meinen: »Antisemitismus schadet der Seele« oder »Islamophobie schadet der Seele«. Die wurden direkt wieder rausgeholt und an die Eingangstür geklebt als klares Bekenntnis. Ich war zudem sehr dankbar, dass unsere Co-Gründerin Silke Radosh-Hinder für unsere Kitaleitung eine Andacht gehalten hat. Wir haben gemeinsam gebetet für die Menschen in Israel, die Opfer und die Geiseln der Hamas und auch die Menschen im Gazastreifen.
Kathrin Janert ist Vorständin des Evangelischen Kirchenkreisverbandes für Kindertageeinrichtungen Berlin Mitte-Nord. Gemeinsam mit Rabbinerin Gesa Ederberg, Superintendentin Dr. Silke Radosh-Hinder und Iman Andrea Reimann hat sie das Projekt Drei-Religionen-Kita-Haus 2013 gegründet. Iman Andrea Reimann ist Leiterin der muslimischen Kita Regenbogenkidz in Berlin. Außerdem ist sie Geschäftsführerin des Deutschen Muslimischen Zentrums. Für ihren Einsatz im interreligiösen und interkulturellen Dialog erhielt sie 2023 die Ehrennadel des Landes Berlin. Sabine Witte ist pädagogische Leiterin der jüdischen Masorti Kita. Masorti e.V. gehört zu den Trägerorganisationen des Projektes Drei-Religionen-Kita-Haus.
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Den vollständigen Beitrag und weitere Artikel zum Thema können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 03-04/2024 lesen.