Körpererkundung mit Schaum und Farben
In der Wasserwerkstatt des Reggio-inspirierten Familienzentrums St. Otger nahe der niederländischen Grenze wird geplanscht, geschüttet und geschäumt. Ein Beitrag der Leitung Marion Röttgers über Seifenblasen, Körperbemalung, Inklusion und das freie Spiel mit einem der spannendsten Elemente überhaupt.
Alles fing vor vier Jahren an, als wir unsere Räume in Werkstatträume umgestalteten. Marion Tielemann, die uns auf dem Weg dahin begleitete, gab uns die Inspiration, bei all unseren Überlegungen immer darauf zu achten, was die Kinder interessiert. Wo halten sie sich auf? Was tun sie dort? Dabei stellten wir fest, dass die Kinder einen unserer Waschräume nur selten nutzten, während sich ständig Trauben von Kindern um unsere Wasserbecken bildeten, um dort mehr als nur Hände zu waschen. In einer Fortbildung über Werkstattarbeit zeigte sie uns viele anregende Fotos. Kinder in fantasievoll gestalteten Was- serwerkstätten. Kinder von Kopf bis Fuß mit Schaum bedeckt oder mit Farben bemalt. Kinder, die lustvoll mit dem Element Wasser experimentieren. Die Bilder gingen mir nicht mehr aus dem Kopf. Weil ich verstand, dass das Spiel mit dem Wasser Kinder nicht nur maßlos fasziniert, sondern ungeachtet von körperlicher Verfassung, Alter, Sprache, Geschlecht, Kultur oder besonderer Merkmale ihre Entwicklung fördert, begannen wir, eben jenen Waschraum in eine Wasserwerkstatt umzugestalten.
Am Anfang ein Schlauch
Noch während des Gestaltungsprozesses zeigte sich, dass sich eine unserer Mitarbeitenden für das Thema in besonderem Maße begeisterte. Von ihr stammen die Ideen zur liebevollen Raumgestaltung und der Materialauswahl. Wir ernannten sie zur Gastgeberin der Wasserwerkstatt. Ich staune noch heute, wie wenig es braucht, damit Kinder von einer Wasserwerkstatt wie ein Magnet angezogen werden und sie fasziniert und kreativ zugleich zu experimentieren beginnen. Genauso, wie wir es auf den Fotos gesehen hatten, die Marion Tielemann uns gezeigt hatte. Zu Beginn genügten ein Schlauch am Wasserhahn, ein paar Schüttgeräte und unsere Information, dass dieser Waschraum jetzt eine Wasserwerkstatt ist, in der sich jedes Kind, solange es möchte, aufhalten und alles ausprobieren kann, was ihm einfällt. Mit der Zeit bekamen wir ein Gespür dafür, welche Materialien Kinder besonders inspirieren, ihr Tun und ihr Lernen im eigenen Tempo selbst in die Hand zu nehmen. Es sind vor allem die unterschiedlichen Formen und Größen der Becher und Eimer zum Hin- und Herschütten, auch Spritzen und Sprühflaschen, Schwämme und Tücher, Rasierschaum, Seifen, Farben und Seifenblasen haben sich gut bewährt. Wie in jeder anderen Werkstatt achten wir darauf, dass die Materialien visuell ansprechen, aber gleichzeitig für das Auge »ruhige« Materialien sind. Transparente Becher, Eimer, Flaschen und Gefäße zum Durchschauen eignen sich besonders, denn sie ermöglichen es den Kindern nachzuvollziehen, wie und wohin das Wasser fließt. Dadurch können sie schneller Rückschlüsse auf ihr eigenes Handeln entwickeln und sich eigenständig reflektieren und weiterentwickeln. Damit sich die Kinder gut orientieren und die Materialien auch selbständig wieder an ihren Ort zurückbringen können, kennzeichnen wir deren Platz mit Fotos.
Konzentriert ohne Ende
Die Wasserwerkstatt ist täglich von 9:00 bis 11:30 Uhr geöffnet. An einem Symbol (Ente von vorne = geöffnet/Ente von hinten = geschlossen) erkennen die Kinder, ob die Wasserwerkstatt geöffnet ist bzw. ob noch Kinder dazukommen können. Meist ist der Andrang groß, der Platz jedoch begrenzt. Je nach Alters- und Entwicklungsstand oder Zusammensetzung der Gruppe können bis zu sechs Kinder gleichzeitig die Werkstatt besuchen. Die meisten kommen von selbst. Für die jüngeren Kinder ist die tägliche Einladung der Gastgeberin eine sinnvolle Unterstützung. Die ideale Kleidung für das Plantschen, Schütten und Schäumen in der auf 40 °C temperierten Wasserwerkstatt ist eine Badehose, eine Unterhose oder bei U3-Kindern die Schwimmwindel. Für das umziehen haben wir den Kabinenbereich einer Kindertoilette in eine Umkleidekabine mit Sitzbank, Handtüchern und Wechselwäsche umfunktioniert. Diese Art Schleuse ist nicht nur praktisch, sondern gewährleistet und schützt auch die Intimsphäre der Kinder. Während die Älteren oft ohne Ende konzentriert die Experimentierwand erforschen – ihr Ding ist einfach das Schütten, Experimentieren und Beeinflussen von fließendem Wasser –, sitzen die Jüngsten in oder an ihrem kleinen Pool. Der Rand ist gerade so hoch, dass sie allein ein- und aussteigen können, und das Wasser gerade so niedrig, dass selbst Jüngste nicht darin ertrinken könnten. Um ihre Entwicklungsbedürfnisse zu befriedigen, braucht es für die Jüngsten nicht viel. Sie sind happy mit ihrem Pool und wechseln vom lautstarken Herumspritzen zum besinnlichen Studium der kleinen Seifenblasen auf ihren Händen.
Marion Röttgers leitet das Familienzentrum St. Otger. Mit ihrer Fachkraft und Gastgeberin der Wasserwerkstatt Melanie Kottemölle teilt sie die Leidenschaft für die Reggio-Pädagogik. Mit ihrem Team von 15 Menschen verwandelte sie ihre Kindertageseinrichtung in ein Familienzentrum mit Raum zum Experimentieren, Ausprobieren und Entdecken. Die Idee, eine Wasserwerkstatt einzurichten, kam ihnen beim Betrachten der vielen Illustrationen in Werkstatt(t)räume für Kitas. Bei einem der zwölf Werkstattbilderbücher von Marion Tielemann, die 2015 bei verlag das netz erschienen sind, steht das Thema Wasserwerkstatt im Mittelpunkt.
Kontakt
www.familienzentrum-st-otger.info
Diesen Beitrag können Sie vollständig neben weiteren interessanten Beiträgen in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 05-06/2023 lesen.