Nachdenken im Kinderatelier
Während der Arbeit im Kinderatelier tauchen immer wieder ähnliche Fragen auf: Soll ich die Kinder einfach »machen lassen«? Wie viel Freiraum ist nötig, wie viel Anregung ist angemessen? Die erfahrene Lernwerkstatt-Fachfrau Sibylle Haas hat an der internationalen digitalen Tagung »Art in Early Childhood« (»Kunst in früher Kindheit«)1 teilgenommen. Sie berichtet von einem Vortrag von Pete Moorhouse und gibt Impulse für das Kinderatelier weiter.
Ein Blick über Grenzen hinweg
Mit einem Weblink von einer Freundin aus Neuseeland, einer Gebühr von 28 Euro und dem Login am Starttag ging es los. Ich staunte nicht schlecht, welche Themenvielfalt auf der digitalen Tagung angeboten wurde. Es gab eine große Auswahl an Berichten und Vorträgen, die ich über einen Monat lang, wie auf einer blühenden Wiese, abgrasen konnte. Während der ersten Woche war es möglich, schriftlich Fragen zu stellen und Kommentare oder Ergänzungen beizutragen. Nicht nur die Vortragenden antworteten darauf, sondern auch andere TeilnehmerInnen, was zu einem lebendigen Austausch führte.
Während die AustralierInnen abends um 20 Uhr bei einem Glas Rotwein mitdiskutierten, gesellte ich mich um 8 Uhr mit meinem Frühstückskaffee dazu. Es war für mich sehr beeindruckend zu sehen, wie die digitalen Medien uns weltweit verbinden. Besonders faszinierte mich, von zu Hause aus um die Welt reisen zu können. Wann haben wir PädagogInnen sonst schon mal die Möglichkeit, an einem Ausflug eines kanadischen Naturkindergartens teilzunehmen? Oder zu verfolgen, wie chinesische Kinder in den traditionellen Scherenschnitt eingeführt werden? Ich erlebte, wie eine Tänzerin aus Südafrika im Kindergarten einen aufregenden Regentanz aufführte und dabei das Thema Klimawandel berührte. Verblüffend war auch, wie viele Gemeinsamkeiten es gab, wenn es um offene Fragen und Widersprüche im Kinderatelier ging.
Das zeigte sich besonders dort, wo der Alltag unter die Lupe genommen wurde. PädagogInnen und Lehrende an der Universität und KünstlerInnen tauschten sich über vieles aus: Wie kann es sein, dass pädagogische Fachkräfte häufig von sich behaupten, sie können nicht zeichnen, sie seien nicht kreativ? Reicht es aus, Material und Zeit zur Verfügung zu stellen? Oder was braucht es noch an Anregungen und Herausforderungen für die Kinder? Ist der Prozess des Gestaltens wichtiger als das Produkt? Wie können wir uns von Kunstwerken inspirieren lassen, ohne sie schlicht zu kopieren? Ist bildnerisches Gestalten, Malen und Zeichnen von anderen Bildungsbereichen abgetrennt? Wo gibt es sinnvolle Überschneidungen z.B. mit Mathematik und Naturwissenschaften, Sprache und Medien? Ja, am Ende sind diese Alltagsfragen überall auf der Welt die gleichen.
Schauen und fragen
Kinder brauchen beim Malen und Gestalten Zeit, Ruhe und Freiheit – innerlich wie äußerlich –, um Materialien zu erproben und eigene Wege damit zu finden. Kommentare von anderen, vorallem wenn sie von Erwachsenen dirigierend oder korrigierend daherkommen, stören den Prozess des sich unbekümmerten Vertiefens. Wer hat es schon gern, wenn jemand beim konzentrierten Arbeiten ständig über die Schulter guckt? Den Kindern Freiräume zu bieten, damit sie sich erproben, heißt nicht, sie allein zu lassen in ihrem Denken und Tun. Achtsame Anwesenheit, teilnehmendes Beobachten sind eine gute Grundlage für vorsichtige Interventionen. Dabei ist es wichtig die richtige Frage zur richtigen Zeit zu stellen, und zu beobachten, wann die Kinder selbst innehalten, zurücktreten, ihr Werk anschauen, sich vielleicht um Hilfe suchend umsehen, um zögernd weiterzumachen. Wir müssen die Kinder ermutigen, an ihrem Thema zu bleiben, ihre Gedanken ernst nehmen und uns erklären lassen, was sie erreichen möchten.
Sibylle Haas hat viele Jahre als Kita-Beraterin gearbeitet, eine Lernwerkstatt geleitet und die Einführung von Lerngeschichten nach dem neuseeländischen Vorbild in Deutschland mitgeprägt. Zur Zeit arbeitet sie freiberuflich als Dozentin und Autorin, sie ist Mitglied im Netzwerk frühkindliche kulturelle Bildung.
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Den vollständigen Beitrag und weitere Artikel zum Thema können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 07-08/2021 lesen.