Mit Kindern Kita-Qualität entwickeln
Wie sieht für Kinder eine »gute« Kita aus? Was wünschen sie sich? Welche Themen und Fragen bewegen sie? Anne Münchow und Lisa Vestring stellen das Forschungs- und Praxisentwicklungsprojekt »Kinder als Akteure der Qualitätsentwicklung in Kitas« vor, das diesen Fragen auf den Grund geht.
Wenn es um die Qualitätsentwicklung in Kitas geht, werden die Meinungen und Ansichten von Kindern bisher kaum berücksichtigt. Dabei verbringen sie immer mehr Zeit dort: Die Kita ist zu einem wichtigen Ort des Aufwachsens geworden, den Kinder mitgestalten dürfen, möchten und können. Laut Artikel 12 der UN-Kinderrechtskonvention haben sie ein Recht darauf, ihre »Meinung in allen […] [sie] berührenden Angelegenheiten frei zu äußern«. Unsere Aufgabe ist es, die verschiedenen Ausdrucksformen von Kindern aufmerksam wahrzunehmen, ihre Perspektiven verstehen zu wollen und sie systematisch bei der Entwicklung von Lebens- und Kita-Qualität einzubeziehen.
Dazu führte das Institut für Demokratische Entwicklung und Soziale Integration (DESI) im Auftrag der Bertelsmann Stiftung das Forschungs- und Praxisentwicklungsprojekt »Kinder als Akteure der Qualitätsentwicklung in Kitas« unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr. Iris Nentwig-Gesemann durch. Im Projekt standen die Perspektiven der Kinder im Mittelpunkt. Beispielsweise durch videobasierte Beobachtungen, Kinderzeichnungen und Gespräche mit rund 200 Kindern rekonstruierten die ForscherInnen 23 Qualitätsdimensionen, die eine »gute« Kita-Qualität aus Perspektive der Kinder beschreiben.1 In den Qualitätsdimensionen sind die Erfahrungen und Orientierungen von Kindern dokumentiert. Damit erfüllen die empirisch erarbeiteten Qualitätsdimensionen den Anspruch, basistypische Kinderperspektiven auf Kita-Qualität zu repräsentieren. Das bedeutet konkret: Nicht jedem Kind in jeder Kita ist jede Dimension gleich wichtig, aber die Erfahrungen, Perspektiven, Relevanzen und Wünsche von Kindern, die in den 23 Dimensionen beschrieben werden, lassen sich – mehr oder weniger intensiv – bei Kindern jeder Kita wiederfinden.
Was ist Kindern wichtig?
Die Vorstellungen von Kindern, was eine »gute« Kita ausmacht, sind sehr facettenreich. Die 23 Qualitätsdimensionen, in denen sie sich widerspiegeln, sind zu sieben Qualitätsbereichen übersichtlich zusammengefasst (siehe folgende Seiten).
Zu jedem Qualitätsbereich gehören zwei bis vier Qualitätsdimensionen. Aus diesen Qualitätsdimensionen entwickelte das Forschungsteam Praxismaterialien, die sich in den Methodenschätzen »Achtung Kinderperspektiven! Mit Kindern Kita-Qualität entwickeln« I und II wiederfinden. In dem Methodenschatz I werden alle Qualitätsdimensionen anschaulich mit Beispielen beschrieben. Darüber hinaus beinhaltet jede Dimension Reflexionsfragen. Diese können genutzt werden, um sich beispielsweise in Teamsitzungen den Perspektiven von Kindern zu nähern und sie zu diskutieren.
»Zeigt uns, was euch wichtig ist!«
Wie sind die 23 Qualitätsdimensionen aus Kinderperspektive entstanden, was steckt dahinter? Der Weg zu einer Qualitätsdimension soll kurz anhand eines Beispiels erläutert werden. Wenn das Forschungsteam eine neue Kita besucht hat, um die Perspektiven der Kinder zu erforschen, waren sehr viele Kinder direkt von dem Vorhaben begeistert und wollten gleich zu MitforscherInnen werden. Um einen ersten Eindruck und Überblick zu erhalten, startete die Forschung in der Kita meist mit einer »Kita-Führung«2, angeleitet von Kindern, die Lust darauf hatten. Der offene Impuls des Forschungsteams lautete: »Könnt ihr uns die für euch wichtigsten Orte – also Plätze, Räume, Ecken – hier in der Kita zeigen, drinnen und draußen, an denen ihr eure Zeit verbringt, und uns erzählen, was ihr da besonders gerne macht? Wenn ihr irgendwann keine Lust mehr haben solltet, könnt ihr auch jederzeit aufhören. […] Dann fangen wir an: Zeigt uns, was euch wichtig ist in der Kita – ihr bestimmt den Weg, wir folgen euch!«
Die Kita-Führungen wurden mit einem Aufnahmegerät und einer Foto- oder Videokamera begleitet, um die Gespräche und Aussagen der Kinder aufzuzeichnen, und um die für sie wichtigen Orte zu fotografieren. Mithilfe der Videokamera konnten auch die körperlichen Ausdrücke und Spielszenen festgehalten werden. Die aufgenommenen Gespräche, Fotos und Videos wurden anschließend analysiert. Für die Auswertung wurde die Dokumentarische Methode3 genutzt. Kernziel der Auswertung mit der Dokumentarischen Methode ist es, »Implizites explizit zu machen.« Was steckt also hinter den Aussagen und Handlungen der Kinder?
Um bei unserem Beispiel zu bleiben: Nach verschiedenen Stationen führten die Kinder einer Kita das Forschungsteam zur Spielküche: einer Küchenzeile mit hängenden Pfannen und Töpfen, Kochfeld, Waschbecken und Mikrowelle sowie einem Schrank mit Fenstern, der reich mit Küchenutensilien wie Schüsseln, Tassen, Salz- und Pfefferstreuern, Getränkekisten, Flaschen und Marmeladengläsern gefüllt war. An diesem Ort vertieften sich zwei Kinder ausgiebig ins Spiel. In einer anderen Kita-Führung zeigte ein Kind die Turnhalle, in der es raumgreifend mit verschiedenen Fahrzeugen herumfahren konnte, eine kleine Höhle, in der es sich gern versteckte, den Snoozle-Raum, der verschiedene Licht- und Toneffekte, ein Wasserbett und eine Discokugel bot, und schließlich auch die Küche, wo es zu seinen Lieblingsbeschäftigungen gehörte, das gespülte Besteck in den Besteckkasten einzusortieren.
Aufgrund der systematischen Analyse zahlreicher solcher Kita-Führungen und weiterer Erhebungen wurde bald deutlich, dass Kindern vielfältige Orte und anregendes Zeug zum Spielen wichtig sind. Die gesammelten Ergebnisse lassen sich zu einer Qualitätsdimension aus Kinderperspektive zusammenfassen.
Die Qualitätsdimension
»Sich vielfältige Orte und anregendes Zeug zum Spielen aussuchen«
»Kinder mögen große, offene Räume ebenso wie kleine, verwinkelte und versteckte. Sie lieben den Wechsel von drinnen nach draußen und zurück, erleben Ortserkundungen außerhalb der Kita und Ausflüge als besondere Erfahrungen. Sie schätzen sowohl räumlich-materiale Settings, die in ihrer Funktionalität eine feste Rahmung anbieten, als auch »unbestimmte« Räume, die sie nach ihren Vorstellungen gestalten können. Besonders gerne mögen sie vielfältiges und anregendes Zeug zum Spielen (Alltags- und Gebrauchsgegenstände, Naturmaterialien, Spielzeug, Fundstücke jeder Art) für gemeinsame Bewegungs-, Bau-, Fantasie- und Rollenspiele. Im intensiven Spielen Orte und Dinge für et-was anderes zu nutzen als für das, was ›funktional‹ oder normativ vorgesehen ist, bereitet den Kindern gro-ße Freude.«
Bertelsmann Stiftung (Hrsg.)(2020): Achtung Kinderperspektiven! Mit Kindern Kita-Qualität entwickeln. Methodenschatz I. Gütersloh
Lisa Vestring ist studierte Kindheitspädagogin B.A. und Praxisforscherin M.A. Sie ist Bildungsreferentin im Bereich Frühkindliche Bildung und war bis Ende 2019 Mitarbeiterin im Projekt Frühkindliche Bildung der Bertelsmann Stiftung. Dort hat sie das Projekt »Kinder als Akteure der Qualitätsentwicklung in Kitas« mitverantwortet.
Kontakt
Anne Münchow ist studierte Kindheitspädagogin B.A. und Bildungswissenschaftlerin M.A. Sie ist Mitarbeiterin im Projekt Frühkindliche Bildung der Bertelsmann Stiftung, u.a. im »Ländermonitoring Frühkindliche Bildungssysteme« und »Kinder als Akteure der Qualitätsentwicklung in Kitas«. Schwerpunkte: Kita-Leitung und Qualitätsentwicklung in frühkindlichen Bildungssystemen.
Kontakt
1 Das Projekt knüpft an die Ergebnisse der QuaKi-Studie an, die im Auftrag der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung durchgeführt wurde, ebenfalls unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr. Iris Nentwig-Gesemann. Die zu-vor rekonstruierten zehn Qualitätsdimensionen hat das Forschungsteam überprüft, ausdifferenziert und auf insgesamt 23 Qualitätsdimensionen erweitert.
2 Detaillierte Angaben zur Erhebungsmethode »Kita-Führung« finden sich hier: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.)(2020): Achtung Kinderperspektiven! Gütersloh
3 Bohnsack R./Nentwig-Gesemann I. & Nohl A. (2013): Die dokumentarische Methode und ihre Forschungspraxis. Grundlagen qualitativer Sozialforschung. Opladen
Den vollständigen Beitrag und weitere Artikel zum Thema können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 03-04/2020 lesen.