Kinderkunst aus aller Welt: Australien
Die fünfte Folge der Serie Kinderkunst aus aller Welt führt uns dieses Mal wieder halb um den Globus, nach Sydney. Unsere Autorin Sibylle Haas lässt uns an ihrer persönlichen Lerngeschichte in dieser quirligen Stadt teilhaben. In nur dreißig Stunden erfährt sie vieles, was sich mit dem roten Faden »Kunst ist für alle da – kreative Kinder brauchen kreative Erwachsene« verbinden lässt. Wie sehr prägen die Geschichte dieses Landes und der kulturelle Hintergrund seine Pädagogik? Welche Bedeutung hat die Kunstvermittlung in den Museen des Landes – für Kinder wie für Erwachsene?
Vom Flugzeug aus gesehen wirkt Australien in weiten Teilen trocken und ohne menschliche Spuren, außer an den Küstenstreifen. Es ist das sechstgrößte Land der Erde, ein Kontinent für sich. Die meisten der 24 Millionen EinwohnerInnen leben in den Küstenstädten, Sydney ist mit 4,5 Millionen die größte Stadt. Schaut man sich die durchschnittliche Bevölkerungsdichte an, ist das Land tatsächlich relativ menschenleer: Während sich in Deutschland 321 Einwohner einen Quadratkilometer teilen, sind es in Australien nur 3,2 Menschen.
Eine wechselvolle Geschichte
Die Ureinwohner lebten einst als Jäger und Sammler in Stämmen und entwickelten komplexe soziale, religiöse und spirituelle Systeme des Zusammenlebens. Die Kunst der australischen Ureinwohner zählt zu den ältesten kontinuierlichen Kunsttraditionen der Welt. Ihre Geschichte reicht mindestens 50.000 Jahre zurück, bis zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat man sich jedoch Überall auf dem Kontinent finden sich alte Felsritzzeichnungen und Felsmalereien, und auch heute entstehen neue Kunstwerke in der alten Tradition.1 Während in der europäischen Malerei die Porträts der Reichen und Mächtigen von großer Bedeutung waren, finden sich hier eher Abbildungen von Tieren, symbolhafte Zeichen und Landkarten.
Ab 1788 nahmen die Briten das Land, das scheinbar niemandem gehörte, in Besitz und errichteten einen Verbannungsort für Sträflinge und einen Handelsstützpunkt für den südpazifischen Raum. Wie in vielen anderen Ländern behandelten die Kolonialherren die Ureinwohner schlecht und verboten ihre Sprachen und »heidnischen« Gewohnheiten. Bis 1967 blieben sie Mündel des australischen Staats und erhielten erst dann bürgerliche Rechte wie die Teilnahme an Wahlen oder die freie Wahl des Ehepartners und des Wohnorts. Erst 2007, nach dem Wahlsieg der Labour-Partei, gestand die Regierung offiziell das Unrecht ein, das man den Ureinwohnern zugefügt hatte.2
Seitdem wird – jedenfalls von offizieller Seite – den Ureinwohnern mit Achtung und Respekt begegnet. Ruft man z.B. die Webseite des »Museums für zeitgenössische Kunst« in Sydney auf, erscheint als erstes ein Satz auf schwarzem Untergrund, der die Gadigal, einen Stamm der Eora Nation, als traditionelle Eigentümer des Landes und der Bucht, an der das Museum steht, würdigt. Respektvolle Beziehungen zum Land und zur Umwelt, so höre ich später im Gespräch, sind in der australischen Kultur zentral. Zum Konzept des Museums, in dem ich viel über Kunstvermittlung lerne, gehört es, »Geschichte, Vielfalt, Kreativität, Einfallsreichtum und Ausdauer der ersten Völker Australiens zu feiern und zu würdigen.«3 »First Peoples«, Ureinwohner, bezieht sich auf die Aborigines und die Torres Strait Islander – Inselbewohner, die in der Meerenge zwischen Australien und Papua-Neuguinea leben. In der Volkszählung 2016 wiesen sich über 750.000 Australier als Aborigines oder Torres Strait Islander aus.
Ein lebendiges Museum
Im »Museum für zeitgenössische Kunst« arbeiten KunstpädagogInnen für das »Nationale Zentrum für kreatives Lernen«.4 Dort treffe ich Amanda Palmer, Koordinatorin für frühkindliche Pädagogik. Zusammen mit ihren KollegInnen entwickelt sie Programme für Kinder im vorschulischen Alter und deren ErzieherInnen und koordiniert ebenfalls das Forschungsprojekt »Kunst und Wunder«. In diesem Projekt wird, in Zusammenarbeit mit der Macquarie-Universität und dem »Mia Mia Kinder- und Familienbildungszentrum«, die Beziehung von Kindergartenkindern zu zeitgenössischer Kunst gefördert; außerdem werden die Auswirkungen von Kunst auf Kinder erforscht.
Das Museum stemmt den Großteil seiner eigenen Finanzierung: Nur 30 Prozent der Kosten übernimmt der Staat, 70 Prozent werden über Spenden, Firmensponsoring, Ausstellungen, Veranstaltungen und Vermietung für besondere Anlässe finanziert.5 Ein Informationsheft für MuseumsbesucherInnen stellt ein »kreatives Lernmanifest« vor. Die grundlegenden Prinzipien dieses Manifests laden dazu ein, über den Standpunkt »Kunst ist für alle da« nachzudenken.
Sibylle Haas ist Diplom-Pädagogin, Kunsttherapeutin und systemische Beraterin. Sie hat sich intensiv mit Lernwerkstätten und Lerngeschichten beschäftigt, viele Jahre den fachlichen Austausch mit Kolleginnen aus Neuseeland gesucht und damit die neuseeländische Art Lerngeschichten zu schreiben in Deutschland bekannter gemacht.
Kontakt
1 Caruana W. (1997): Die Kunst der Aborigi- nes. München, S. 7
2 Melville C./Dehne A. (2018): Stefan Loose Reiseführer Australien. Berlin, S. 110ff
3 Website des Museum of Contemporary Art: mca.com.au
4 National Centre for Creative Learning im MCA, www.mca.com.au/learn
5 Where Creativity, Art and Ideas Come Together. Informationsheft für BesucherInnen des National Centre for Creative Learning im MCA Australia, übersetzt von Sibylle Haas
Den vollständigen Beitrag und weitere Artikel zum Thema können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 11-12/19 lesen.