Zusammensein in einer Baugruppe
Wohn- oder Lebensgemeinschaften sind schon längst nicht mehr nur für die Generation der jungen Erwachsenen ein attraktives Wohnmodell. In Zeiten der Patchworkfamilien und jung gebliebenen Alten entstehen zunehmend neue Lebensformen, wie z.B. Mehrgenerationenhäuser oder sogenannte Baugruppen. Der Schauspieler und Erzieher Holger Haas lebt mit seiner Frau und seinen beiden Kindern seit sechs Jahren selbst in einer solchen Baugruppe und weiß viel zu berichten vom Miteinander und Gegeneinander, Streiten und Lärmen, Wachsen und Lernen von Kindern und Erwachsenen.
Ganz Berlin ist eine Großstadt! Ganz Berlin? Nein, denn inmitten des S-Bahn-Rings, also in bester zentraler Lage, gibt es seit dem Jahr 2010 eine grüne Oase. Das rund 12.000 m2 große Sahnestück teilen sich aktuell 115 Menschen – 40 von ihnen sind Kinder und Jugendliche im Alter von drei bis 18 Jahren – in 35 Wohnparteien. Baugruppen wie die unsere bestehen in der Regel aus Menschen, oftmals junge Familien, die sich zusammenschließen, um ein Grundstück gemeinsam kostengünstig zu erwerben und es mehr oder weniger nach ihren Vorstellungen bebauen zu lassen. Eine prima Alternative zum Eigenheim via Investor und allein schon aufgrund einer gesunden alternativen Gesinnung aller Beteiligten frei von jedweder Gentrifizierung.
Doch auch in solch einem »Gutmensch«-Projekt herrscht nicht immer eitel Sonnenschein. Zusammenleben will gelernt sein. Die meisten von uns kannten sich zu Beginn des Projekts noch nicht. So lernten wir in unserem fast schon familiär anmutenden Biotop gemeinsam einiges über das Miteinander und Gegeneinander, übers Streiten und Lärmen, über Banden und Solisten, übers Wachsen und Lernen, aber auch über die unterschiedlichen Bedürfnisse von Kindern und Erwachsenen.
Miteinander und nebeneinander leben
Nachdem das von uns gekaufte ehemalige Brachland symbolisch mit einem Zäunchen vom Rest der Welt abgegrenzt, bebaut, bepflanzt und die Häuser und Wohnungen den BewohnerInnen zugeordnet waren, blieb ausreichend Platz, der von allen gleichermaßen für unterschiedlichste Aktivitäten genutzt werden darf. Die großzügige Wiese zum Kicken, Federball oder Sonstiges spielen, Feuerstellen, eine Hängematte im Naschgarten, Ruheoasen, der Parkplatz und der Beachvolleyballplatz, Hochbeete, Sandkasten und Geräteschuppen für das Gartenwerkzeug und der alte Bauwagen, der als Treff und Aufenthaltsraum für die Kinder und Jugendlichen dient, aber auch schon mal als Gästewohnung herhält. Ein Paradies für Erwachsene, für Jungen und Mädchen.
Für mich als Erzieher ist es interessant, in unserem häuslichen Umfeld immer wieder auf dieselben markanten Gemeinsamkeiten hinsichtlich der Spielgewohnheiten zwischen Mädchen und Jungs zu treffen, wie ich sie auch aus der Kita kenne. Die Klassiker, bei denen sich beide Geschlechter altersübergreifend zusammenfinden, sind Räuber und Gendarm, Groß fängt Klein oder Wasserschlachten. Weitaus öfter aber wird getrennt voneinander gespielt. Mädchen nutzen das weite Grün in erster Linie zum »Pferdchen reiten« und fantasiertem Voltigieren, die Jungs zum Kicken oder um sich miteinander in epischen Schlachten mit Laserschwertern oder Zauberstäben zu messen.
Diese Trennung fällt zunehmend auf, sobald das achte Lebensjahr beginnt. Bis dahin zeigt sich deutlich, dass alle gemeinsam an einem Ort aufwachsen und ihr Lebensweg irgendwie miteinander gekoppelt ist. Sie teilen sich denselben Baum zum Klettern, dieselbe Hecke zum Verstecken und dieselbe Freifläche zum Rennen. Wenn sich dann mit acht Jahren das Spielen und Verabreden auf das eigene Geschlecht fokussieren, geschieht dies ohne jegliche Konkurrenz oder Raumdivergenzen. Niemals kommt es zu Streitigkeiten wegen eines Platzanspruches, niemand behauptet kampfeslustig, dies hier sei ausschließlich der Reitplatz bzw. der Planet Alderaan. Jede und jeder findet ausreichend Raum für die eigene Präferenz. Freilich gibt es Ausnahmen und Überschneidungen, die meist rasch, unkompliziert und friedlich gelöst werden. Streitereien finden eher untereinander statt! Und genau hier liegt ein unglaubliches soziales Lernpotential.
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 05/17 lesen.