Lerngeschichten in die Praxis tragen
Mit dem Werk »Das Lernen feiern« machte die Pädagogin Sibylle Haas die Lerngeschichten aus dem fernen Neuseeland in Deutschland populär. Inspiriert von den Erfahrungen vieler KollegInnen, die diese Beobachtungs- und Dokumentationsmethode in der Praxis anwenden, stellt sie jetzt mit »Begeisterung teilen. Lerngeschichten in die Praxis tragen« dem Grundlagenwerk von 2012 ein weiteres Praxisbuch vor.
Beobachten und Dokumentieren sind nicht gerade beliebte Aufgaben in der frühkindlichen Pädagogik. Die Zeit, die sie fordern, kann scheinbar häufig nur mühsam abgerungen werden, der zusätzliche »Schreibkram« führt angeblich weg vom Kind, der Nutzen ist nicht immer klar zu erkennen. Diese Aufgaben machen vielen PädagogInnen keinen Spaß, weil sie oftmals mit dem Gefühl verbunden sind, ihre pädagogische Arbeit und Anstrengung legitimieren zu müssen.
Doch beim Austausch über die Wirkungsweisen von Lerngeschichten kommen ganz andere Aspekte in den Blick:
- Lerngeschichten bringen uns den Kindern und ihren Interessen näher,
- sie unterstützen Beziehungen zu Eltern und Familien,
- sie bieten viele Ansatzpunkte, um den eigenen Alltag zu reflektieren,
- sie rühren uns an und
- unterstützen gleichzeitig unser professionelles Selbstbewusstsein.
Was sind Lerngeschichten?
Lerngeschichten sind eine besondere Art der Beobachtung und Dokumentation kindlicher Lernprozesse, eine Art Forschungsbericht: Sie handeln davon, was Kinder tun, wofür sie sich vermutlich interessieren, was sie möglicherweise denken und fühlen, womit wir sie unterstützen können. Durch die Beschreibung wird deutlich, wie und unter welchen Bedingungen Lernen geschieht. Das kann in Form eines Briefes oder einer Geschichte geschehen. Lerngeschichten entwickeln dann ihren Sinn, wenn die Beteiligten – PädagogInnen, Kinder und Eltern – in einen Dialog miteinander treten und sich darüber verständigen, in welcher Richtung eine Weiterentwicklung gefördert werden kann.
Lerngeschichten bestehen zunächst aus drei wesentlichen Schritten, die nicht besonders anspruchsvoll klingen: wahrnehmen, Bedeutung erkennen und reagieren. Weil diese drei Schritte untrennbar zusammengehören, haben wir sie Walzerschritte genannt – 1, 2, 3 im Walzertakt – so gerät keiner von ihnen in Vergessenheit:
- Im ersten Schritt beschreiben die PädagogInnen anschaulich und für Kinder sowie deren Eltern nachvollziehbar eine Situation aus dem Alltag, in der das Kind offensichtlich etwas gelernt hat.
- Als Zweites reflektieren sie, wie es gelernt hat, woran man das erkennen kann und welche Bedeutung die Situation vermutlich für das Kind hat.
- Im dritten Schritt geht es um die Frage, welche Schlussfolgerungen aus der Beobachtung gezogen werden können. Das betrifft nicht nur die Entwicklung des Kindes, sondern auch die Reflexion von pädagogischem Handeln und eventuell auch eine erforderliche Weiterentwicklung pädagogischer Konzeptionen.
Wozu noch ein Buch über Lerngeschichten?
Das Grundlagenbuch von 2012 »Das Lernen feiern« zeigt immer noch gültig die Praxis der Arbeit mit Lerngeschichten, so wie sie in Neuseeland erdacht und entwickelt wurde. Im nun erschienenen zweiten Band »Begeisterung teilen – Lerngeschichten in die Praxis tragen« stehen Erfahrungsberichte aus unterschiedlichen Perspektiven über die Arbeit mit Lerngeschichten in der Praxis und über ihre Vermittlung im Mittelpunkt. Die Wirkung auf Eltern und Kinder wird nachvollziehbar, ebenso in der Ausbildung, Fortbildung und Beratung und auch in anderen Arbeitsfeldern.
Einleitend werden Grundbegriffe geklärt und einzelne Aspekte aufgezeigt, wie sich die Praxis mit Lerngeschichten weiterentwickelt hat, in Neuseeland und in Deutschland. Dazu gibt es zehn aktuelle Kurzbeiträge aus Neuseeland. Für PraktikerInnen in Aus- und Fortbildung sowie Beratung werden anschließend 25 Methoden beschrieben, die sich zur Einführung ins Thema und als Vertiefung bewährt haben. Mit dem Kapitel »Zeit zum Schreiben« gehen wir eines der Hindernisse an, welche die Verbreitung von Lerngeschichten bislang häufig erschweren: die »Wir haben keine Zeit«-Blockade. Gut ausgebildetes, zusätzliches Personal können wir leider nicht herbeizaubern. Stattdessen benennen wir klar, wie viel (bzw. wenig) Zeit Lerngeschichten in der Praxis tatsächlich in Anspruch nehmen und zeigen praktikable Wege auf, sie im Alltag zu etablieren – mit einem sorgfältigen, forschenden Blick auf vorhandene Ressourcen und der Ermunterung, manch andere Aufgaben in Frage zu stellen.
Sibylle Haas ist Diplom-Pädagogin, Kunsttherapeutin und systemische Beraterin. Sie hat sich intensiv mit Lernwerkstätten und Lerngeschichten beschäftigt. Sie hat den fachlichen Austausch mit Kolleginnen aus Neuseeland viele Jahre lang gesucht und Begegnungen organisiert. So wurde die neuseeländische Art Lerngeschichten zu schreiben in Deutschland immer bekannter.
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Den vollständigen Beitrag und weitere Artikel zum Thema können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 01-02/17 lesen.