Spielen fürs Kinderrecht
Die Bewegungspädagogin und Filmemacherin Gerburg Fuchs engagiert sich für die Umsetzung von Kinderrechten in der Kitapraxis. An der 15-monatigen, von der DAK und der Unfallkasse Berlin geförderten Fortbildung »Spielen für Kinderrechte – die Rolle der Prävention« nahmen vier Kitateams teil. Eins davon sind die PädagogInnen des Berliner Kinderladens Rosenrot in freier Trägerschaft. Jutta Gruber besuchte sie und sprach mit der Erzieherin Aileen Wolff.
Aus etwa 100 Metern Entfernung erkenne ich die Gruppe der Kita Rosenrot. Verabredet waren wir für 10 Uhr, wenn es zum Spielplatz im benachbarten Park los geht, ich bin etwas spät dran. Wie ein immer größer werdendes Stillleben erscheint mir die Gruppe, die an einer kleinen Straßenkreuzung innehält. Raschen Schrittes erreiche ich sie genau in dem Moment, als die gut zehn Kinder zwischen zwei und fünf Jahren, drei Erzieherinnen, ein Erzieher und ein Vater, dessen Kind in der Eingewöhnungszeit ist, sich in Bewegung setzen, um die Straße zu überqueren. Dass jemand einen »Marschbefehl« gegeben hätte, erinnere ich nicht.
Ein Ziel, eine Sprache
Nachdem sich die Kinder auf dem Spielplatz verteilt haben und auch die Malsachen ausgepackt sind, lassen wir, die Erzieherin Aileen Wolff und ich, uns etwas abseits auf einer der zahlreichen Sitzgelegenheiten nieder. Ich erfahre von ihr, dass der Kinderladen Rosenrot 2011 gegründet wurde und mit einem sehr stabilen Team von derzeit drei Fachkräften, einer Auszubildenden und 17 Kindern in einem ganzheitlichen Konzept arbeitet. »Wir arbeiteten schon vor der Teilnahme an Gerburg Fuchs’ Fortbildung ›Spielen für Kinderrechte – die Rolle der Prävention‹ sehr gut zusammen. Dennoch machte uns das Angebot neugierig und wir beschlossen, daran teilzunehmen. Unser Ziel war, herauszufinden, was jede und jeder Einzelne von uns braucht, um gut arbeiten zu können, damit wir darauf mehr achten und uns besser gegenseitig unterstützen können.«
Eins der jüngeren Mädchen kommt zu uns. Es zeigt und erklärt Aileen Wolff zwei Bilder, die es gerade gemalt hat: »Das eine ist für die Mama, das andere für den Papa.« Aileen Wolff hört zu. Manchmal wiederholt sie das Gesagte lediglich oder fragt, wenn sie das Mädchen nicht verstanden hat, dialogfördernd nach: »Macht der einen Ton oder turnt der, also macht der Sport?«
Eine weitere Idee, die sie mit der Fortbildung verfolgen wollten, sei die Entwicklung einer gemeinsamen pädagogischen Haltung gewesen, einer gemeinsamen Stimme im Umgang mit den Eltern und den Kindern. Wie konkret auf den Praxisalltag bezogen sie das meint, erläutert sie mir an einem Beispiel: »Bei uns begleiten z.B. immer zwei ErzieherInnen gemeinsam den Beginn der Mittagsruhe. Damit die Kinder sich orientieren zu können, ist es notwendig, dass die begleitenden Erwachsenen dieselbe Sprache sprechen. Damit meine ich nicht nur die verbale Sprache, sondern auch unsere Körpersprache. Zu Beginn der Mittagsruhe achten die ErzieherInnen deshalb darauf, sich erst einmal selbst auf die kommende ruhigere Phase einzustellen. Die Fachkraft, die zuerst eine gewisse Ruhe in sich findet, fängt dann an, ein Lied zu summen und die oder der andere stimmt ein.«
Kinder zeigen, was sie brauchen
Wichtig war den Mitgliedern des Teams auch, ihre Wahrnehmung für die Kinder und die Welt der Kinder weiterzuentwickeln, um z.B. besser erkennen zu können, ob ein Kind gerade Hilfe braucht oder nur ein Dabei-sein. Dass sie diesbezüglich so einiges lernen können, hätten sie bereits in der »Blickschulung«, dem ersten der insgesamt drei Praxismodule, bemerkt – die beiden anderen Module waren »Konflikte« und »Spiel als Methode«.
Was genau Blickschulung bedeutet und was in der Fortbildung auf sie zukommen wird, sei ihnen gar nicht so klar gewesen. »Aber wir waren alle neugierig darauf und eine der Teilnahmebedingungen war ja auch, dass das ganze Team teilnimmt.« Eine der dort gelernten Übungen stellten sie auf einem Elternabend vor: »Wir stellten eine Pflanze in die Mitte und beschrieben uns, was wir sehen. Da jede und jeder aus einer anderen Richtung schaute, bemerkten alle, dass dieselbe Situation je nach Standort aus einer anderen Perspektive wahrgenommen wird. Seitdem ist uns viel bewusster, dass jede und jeder immer eine subjektive Wahrnehmung auf dieselbe Situation hat. Wir tauschen uns viel mehr darüber aus, um eine Situation ganzheitlicher beurteilen zu können.«
Seit der Fortbildung »sind wir in unseren Beobachtungen sensibler geworden und signalisieren den Kindern häufiger, dass wir für sie da sind, wenn sie unsere Hilfe brauchen. Wir haben gelernt, die Zeichen der Kinder besser zu lesen, ihre verbale Sprache, aber auch ihre Körpersprache.« Hin und wieder gibt das Team immer noch Impulse in die Gruppe, prüft dabei aber sehr achtsam, ob das Angebot aufgegriffen wird.
Ein Beispiel dafür seien die auf einem der Tische ausgebreiteten Malsachen: »Das war einfach ein Impuls von uns, den die Kinder sehr gern angenommen haben. Die Idee dahinter war, dass es für sie spannend sein könnte, zur Abwechslung mal bei natürlichem Tageslicht zu malen.«
Sicher könne sie nie sein, ob Impulse angenommen werden, aber »glücklicherweise melden Kinder ja sofort zurück, wenn man mal mit einem Angebot oder einer Intervention daneben liegt. Von den Kindern können wir lernen, dass man auch intuitiv viel richtig macht, vorausgesetzt man beobachtet gut und ist offen für ihre unterschiedlichen Lebenswelten.«
Vorbild sein
Zu Anfang der Fortbildung seien alle Teams überrascht gewesen, dass Gerburg Fuchs im Grunde ausschließlich mit den Fachkräften arbeitete, »weil man beim Stichwort ›Kinderrechte‹ ja immer gleich an die Frage denkt, wie man Kinder in der Praxis mehr partizipieren lassen kann, z.B. durch die Einrichtung eines Kinderparlaments oder das Anbringen eines Beschwerdebriefkastens.« Man habe tatsächlich die ganze Zeit an der Achtung der Anliegen und der Umsetzung der Rechte der Kinder gearbeitet, »aber eher über die Arbeit an uns selbst. Es ging also über uns um die Kinder. Denn unser Verhalten – nicht nur gegenüber den Kindern, sondern auch gegenüber den Eltern oder unseren TeamkollegInnen – wirkt ja unmittelbar auf das Verhalten der Kinder.«
Ihnen sei früher auch schon klar gewesen, »dass Kinder im selben Maße auf das reagieren, was wir tun, wie auf das, was wir sagen. Wenn wir z.B. nur rumstehen, stehen sie auch nur rum. Wenn wir aktiv sind, sind sie auch aktiv.« Neu dazugekommen sei jedoch eine Sensibilisierung für die eigene Wahrnehmung und »auch die für die TeamkollegInnen. Wir haben in der Fortbildung nicht nur mehr darüber erfahren, welche Bedingungen man selbst braucht, um gut arbeiten zu können, sondern auch, welche die KollegInnen brauchen, z.B. immer mal einen Moment der Ruhe, die Einhaltung eines Zeitplans oder einen gemeinsamen roten Faden, der durch den Tag führt.«
Kontakt
www.gerburgfuchs.de
Hier finden Sie Infos zu Angeboten und Projekten mit und von Gerburg Fuchs.
Den vollständigen Beitrag und weitere Artikel zum Thema können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 11-12/16 lesen.