Blätterkränze für Gullydeckel
Die hohe Kunst der Land Art kann auch die profanen Lebenswirklichkeiten von Städten aufwerten. Dass Zweige und Äste die Kinder mehr herausfordern als braves Lego, glaubt Michael Fink.
Land Art macht glücklich. Man steht im Wald, sammelt Blätter und Zweige, Rinden und Steine – und erfindet Wege, daraus Bilder zu legen. Man tritt zurück, um das Ergebnis seines Tuns zu betrachten: Eine klare, farblich herausstechende Form inmitten des Chaos der Natur. Vielleicht sucht man drei Wochen oder Monate später den Ort wieder auf und stellt beglückt fest, dass etwas von dem selbst errichteten Turm aus Hölzern, dem Stern oder dem gelegten Stein-Monster noch da ist. Wer – egal ob Mensch oder Wildschwein – hat es wohl in der Zwischenzeit betrachtet?
Eine bedeutende Kunstströmung war die Land Art nur kurzzeitig – etwa in den Siebzigerjahren, als Robert Smithson seine riesige »Spiral Jetty«, einen spiralförmigen Damm, mit Baggern in einem flachen See errichten ließ. Bekanntheit genießt heute vor allem Andy Goldsworthy, der in menschenleeren Landschaften Formen aus Blättern, Zweigen oder Steinen baut oder legt und sie fotografisch in Szene setzt. Seine Nature Art folgt strengen Regeln: Für die Objekte verwendet er ausschließlich am Ort gefundene Dinge – künstlich hergestellte Werkzeuge sind tabu – und das Betrachten von Vergehen und Verschwinden ist Teil des Kunstwerkes. Der Künstler schafft das Kunstwerk alleine. Für alle anderen existiert es nur auf Fotos und Filmen, die den Betrachter oder die Betrachterin anrühren und anregen sollen, es ihm nachzutun.
Wie kindgerecht ist Land Art eigentlich?
Ist diese Kunst etwas für Kinder? Im pädagogischen Alltag scheint diese Frage längst beantwortet zu sein: Land Art ist in Schule, Kindergarten und Ausbildung ein großes Thema. Dennoch möchte ich die Frage hier einmal in den Raum stellen. Dagegen sprechen könnte, dass Kinder den von Erwachsenen so geliebten Einklang mit der Natur viel weniger prätentiös erleben und ihnen die ach so »erhabenen« Grundformen, Farbkontraste und strengen Material-Verwendungsregeln vielleicht etwas zu verkopft erscheinen. Dafür spricht, dass Kinder ohnehin alle verfügbaren Dinge verwenden, um damit Wohnungen, Autos, Figuren, Maschinen, Monster, Straßen oder sonstiges zu bauen – und ihnen der Schatz der Natur gerade recht kommt.
Dass sie dabei etwas lernen, steht wohl außer Frage. Land Art öffnet den Blick für Details und Unterschiede: Jedes Blatt und jeder Zweig sieht plötzlich anders aus, wenn man sie ordnet und verbaut. Äste und Zweige als Streben eines Bauwerkes fordern Kinder deutlich stärker heraus als das brave Lego, dessen Noppen die Frage nach der Statik allzu simpel beantworten. Und Land Art weitet den Blick fürs Schöne, wenn der vorher unbedeutende Platz im Wald – alte Blätter, Unkraut, Bäume – plötzlich zur Waldgalerie wird.
Und was, wenn weit und breit kein Wald zu finden ist? Manche Freunde der Natur-Kunst finden inzwischen die Ideen ihrer Erfinder als zu kurz gedacht: Eine wunderschöne, unberührten Landschaft braucht keine Land Art-Kunstwerke, damit sie schön ist. Kunstwerke aus Blättern, Zweigen und Steinen fehlen eher dort, wo der Mensch alles zugepflastert, zugestellt, zuasphaltiert und mit Leitungssystemen und Verkehrswegen verbaut hat. Dieser Einschätzung dürften Kinder zustimmen – und sofort loslegen mit dem Drapieren von Blattkronen um Gullys oder dem Bauen von Oasen in der Steinwüste. Wer macht mit?