Ansichten dazu, was Kinder sind
Am siebten Tage schuf Gott den Menschen, zunächst in Erwachsenenform. Schon bald spazierte dieser auf seine ureigene Art über den frisch erschaffenen Planeten und machte sich mit allerlei Besserwissereien wichtig, sodass Gott mit erhobener Braue konstatierte, sich die »Krone der Schöpfung« etwas possierlicher gewünscht zu haben. Verärgert erdachte er am nächsten Tag eine verkleinerte, aber dickbackigere Version des Menschen, nannte sie Kinder und fand das Ergebnis unvergleichlich gut.
Dem ersten Erwachsenen ging es genauso, aber um dem alten Zausel Paroli zu geben, nörgelte er: »Unvergleichlich? Pah. Ich finde ja eher, diese Kinder sind wie …« Und hörte seitdem nicht auf, das Kind in blumigen Vergleichen zu beschreiben. Hier kommen die mithilfe von Kamerad Google gesammelten schönsten »Kinder sind«-Sätze der Menschheit!
Es ist gut, dass die Kinder da sind! Nicht nur die Aktion »Kinder sind willkommen« drückt das aus. Novalis schwärmt im Zitate-Forum, »wo Kinder sind, da ist ein goldnes Zeitalter.« So schlau der Spruch auch ist, zieht doch sein Urheber seine Intelligenz schnell in Zweifel, denn: »Ein Kind ist weit klüger und weiser als ein Erwachsener.« »Kinder sind das lieblichste Pfand der Ehe«, sagt Martin Luther. Und verwirrt uns: Kriegt man etwa Pfand zurück, wenn man nach dem 18. Geburtstag Kinder zurückgibt?
Wo kommen die Kinder her? »Kinder sind vom Himmel«, berichtet John Gray, ein amerikanischer Erziehungsbuchau-tor. Fast richtig, halten dem deutsche und tschechische Autoren entgegen, Kinder seien »eine Brücke zum Himmel«. »Kinder sind eine Gabe des Herrn, und Leibesfrucht ist ein Geschenk«, weiß Bibel-Mitautor Paulus, der offenbar wie alle späteren Oberkatholen den Aufklärungsunterricht geschwänzt hat. Deutlich mehr Ahnung davon hat Friedrich Hebbel, denn beim Satz »Spielende Kinder sind lebendig gewordene Freuden«, denkt – der große Dichter gewiss an vergangene Zeugungsfreuden. Und er teilt auch die große Männerweisheit, dass all das, was nach der Zeugung kommt, ungleich komplizierter ist: »Kinder sind Rätsel von Gott und schwerer als alle zu lösen«, jammert er.
Mehr zum überirdischen Ursprung tendieren die Franzosen, die im Sprichwort behaupten, Kinder seien »Engel, deren Flügel schwinden, je mehr ihre Füße wachsen«. Vorsicht ist ab Kinderschuhgröße 37 geboten! Klar, dass Goethe deswegen prophylaktisch fordert: »Zwei Dinge sollen Kinder von ihren Eltern bekommen: Wurzeln und Flügel!« Aber, sagt der Araber, denn für ihn sind Kinder selbst die »Flügel des Menschen«. Gesetzt den Fall, Kinder sind selbst Menschen – sind sie dann die Flügel von sich selbst?
»Kinder sind besonders deswegen liebenswert, weil sie immer in der Gegenwart leben«, erklärt Leo Tolstoi, der von 1828 bis 1849 übrigens selbst in der Gegenwart lebte, indem er Kind war – hoffentlich in liebenswerter Form. Aber stimmt das mit der Gegenwart, wo es doch immer wieder heißt »Kinder sind Zukunft!« – etwa wenn ARD, Bundeskanzlerinnen, CDU Stuttgart, diverse Stiftungen oder Fachtags-Veranstalter ein nie dagewesenes Motto suchen? Sind Kinder etwa die Zukunft, die bereits in der Gegenwart lebt? Manche sagen auch, Kinder seien »unsere Zukunft« – dabei sind wir in der Zukunft doch eher Rentner statt noch mal Kinder. Papperlapp, scheint Jean de Bruyére zu denken: »Die Kinder kennen weder Vergangenheit noch Zukunft!« Irgendein John W. Whitehead meint dazu oberschlau: »Kinder sind Botschaften, die wir in eine Zeit entsenden, die wir selbst nicht mehr erleben werden.«
Nützlich sind Kinder in jedem Fall, stellen viele weise Menschen fest. Zum Beispiel der gemütliche Don Bosco (nicht zu verwechseln mit »Frutti di Bosco«), der offenbar beim Spaziergehen auf besonders gelungene Exemplare stieß – und losaphorismierte: »Diese Kinder sind Edelsteine, die auf der Straße liegen. Sie müssen nur aufgehoben werden, und schon leuchten sie!« Eine Facebook-Gruppe nennt sich davon inspiriert: »Kinder sind wie geschliffene Diamanten«. Wer mag sie bloß geschliffen haben, und was ist demnach ein Rohdiamant – der buckelige Embryo vom Ultraschallfoto, oder doch der rüpelhafte Unterschicht-Nachwuchs? Und wo haben wir beim Erwachsenwerden unseren Diamantstatus eingebüßt – etwa beim Erwerb goldener Kundenkarten? »Kinder sind wie kleine Sonnen, die auf wundersame Weise Wärme, Glück und Licht in unser Leben bringen!«, bringt es eine Netzbewohnerin auf den Punkt: Ohne diese Zauberwesen ist unser Leben nicht erträglich – eine gute Affirmation für uns Pädagogen! Etwas pragmatischer geht Adalbert von Chamisso die Materie an, dem leicht langweilig zu werden scheint: »Die Kinder sind mein liebster Zeitvertreib.«
Was können sie, die Kleinen? Obwohl »Kinder keine unfertigen Erwachsenen sind«, wie Celestin Freinet, Cornelia Funke und sämtliche deutschen Kindergartenkonzeptionen unabhängig voneinander herausgefunden haben, brillieren sie in vielen von uns Großen hochgeschätzten Berufen. Klar sind sie »kleine Forscher«, aber auch »unsere besten Richter«, wie Hering-Namenspatron Bismarck weiß, zudem auch »die besten Lehrer, die man wählen kann«, wie Goethe ermittelt hat. Klar, dass die Alleskönner sogar Sachen draufhaben, von die wir ihnen nie zugetraut hätten: »Alle Kinder sind Matheforscher«, titelt ein Verlag etwas großsprecherisch. – Ich werde diese Info meinen Mathe-Muffel-Kindern mal weiterleiten.
»Kinder sind wie ein Spiegel«, textet der amerikanische Autor Ross Campbell – so muss man dort heißen, will man Bestseller verkaufen – und er erklärt auch, warum: »Kinder reflektieren alles, was wir ihnen schenken.« Hey, das klingt praktisch – und zudem kostengünstig! Bedürfnisse haben sie aber auch, die Kinder. Ein rührseliges Gedicht sagt: »Kinder sind wie Pflanzen!«, denn »sie brauchen Wärme und Licht«. Fritze Fröbel konkretisiert das etwas, wohl weil das gegenüber Kälte und Schatten liebenden Pflanzenarten sehr ungerecht ist, und sagt: »Kinder sind wie Blumen. Man muss sich zu ihnen niederbeugen, wenn man sie erkennen will.« Da mag einen ein pädagogischer Rückenschmerz durchzucken – aber Abpflücken kommt nicht in Frage.
Michael Fink (Ex-Kind)
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 01-02/16 lesen.