Gespräch mit einem Helden
Er hat Leben gerettet, aber Danke hat niemand gesagt. Dabei verdanken nicht ein oder zwei, sondern mindestens 80 Millionen Deutsche ihm, dass sie noch putzmunter, auf dem Posten und am Leben sind – statt als Leidtragende der gefährlichen Massen-Murmel-Verschluckung oder als Opfer des Großbrandes abzutreten, den unsachgemäß ins Treppenhaus gehängte Pappmaschee-Skulpturen verursachten.
Von beiden Katastrophen haben Sie noch nie gehört? Kein Wunder! Allein aufgrund des Wirkens eben dieses stillen Helden ereigneten sie sich nämlich nicht.
Ja, von Ministerialrat Ernst-Otto Kleinmeier ist die Rede, oberster Hygiene- und Sicherheitsbeauftragter für Schulen und Kindergärten unseres Landes. Nach unzählbaren Dienstjahren blickt er nun dem wohlverdienten Ruhestand entgegen – und zurück auf Millionen Sicherheitsprüfungen von Kleinkindspielmaterialien, Schulfluren, Kitafoyers, Draußenspielgeräten, kurz: auf all die Gefahrenquellen unserer nur scheinbar harmlosen Welt.
Mit einem Exklusiv-Interview würdigt Betrifft-KINDER-Autor Achim Kniefel das Lebenswerk des Helden, das heute Kitas wie Schulen prägt und unzähligen Hausmeistern Lebenssinn schenkt.
Kniefel (ölig): Lieber, verehrter Herr Kleinmeyer, zunächst möchte ich Sie in unseren Redaktionsräumen begrüßen und Ihnen alles Gute für den kommenden Lebensabschnitt wünschen – natürlich vor allem – wie könnte es anderes sein – jede Menge Sicherheit.
Kleinmeyer (sich die von Kniefel geschüttelte Hand sorgfältig mit einem Hygienetuch außen, innen und zwischen den Fingerwurzeln reinigend):
Danke! Schießen Sie los mit Ihren Fragen, sofern – hehe, kleiner Scherz – sofern sie abgerundete Spitzen haben.
Kniefel (lacht übertrieben): Jeder weiß, dass Specksteine hochgefährlich sind, dass in Schulfluren angebrachte Klassensätze Schultütenbilder besser Brandlast hießen und dass als Spielräume genutzte Garderoben von einer Sekunde zur anderen zu Todesfallen werden können. Mit all diesen Regelungen haben Sie in Ihrer langen beruflichen Laufbahn die Arbeit unzähliger deutscher Kindergärten und Schulen geprägt. Dennoch fanden Sie damit nie die Ihnen gebührende Beachtung. Ist es ein Rückblick im Zorn, jetzt kurz vor der Rente?
Kleinmeyer (jovial): Wo denken Sie hin! Als Sicherheits-Vordenker erwarte ich keine Lorbeeren wie die Damen und Herren Montessori und Steiner. Mir reicht es zu wissen: Wir Sicherheitsmenschen haben die pädagogische Arbeit mehr geprägt und verändert als all die Konzepte der letzten 50 Jahre.
Kniefel: »Pädagogik prägen« – das klingt für viele Menschen aus Ihrem Mund wahrscheinlich ungewohnt. Haben Sie ein pädagogisches Credo, das Ihr Handeln leitet?
Kleinmeyer: Wissen Sie, eigentlich passen die meisten bekannten Leitsätze zu meinem pädagogischen Credo, wenn man sie ein bisschen in Richtung Sicherheit abwandelt. Viele sagen ja: Bei uns steht das Kind im Mittelpunkt. Ich und meinesgleichen, wir sagen halt: Bei uns steht das Kind zwar auch ziemlich zentral, aber nicht unbedingt in der Mitte, wo man schnell umgerannt wird. Die »vorbereitete Umgebung« bejahen wir auch – oder ist das Wegräumen gefährlicher Dinge etwa keine Vorbereitung?
Gewiss: Anfangs hatten wir an ein eigenes Credo gedacht, etwas in der Art, wie es unsere längst verstorbene, verehrte Kollegin Klefinghaus so treffend formulierte: »Kinder sind das wertvollste Geschenk des Lebens. Und wertvolle Dinge verdienen besonderen Schutz – zum Beispiel in einer gut gesicherten Vitrine.«
Kniefel (leicht irritiert): Klingt spannend. Geben Sie uns bitte einen Einblick in typische Projekte Ihres Aufgabenbereichs.