Kinder sind geborene Lerner, voller Wissbegier. Sie besitzen eine erkundende und forschende Haltung und sind von sich aus dialogfähig. Kinder wollen nicht belehren, manipulieren oder ihr Gegenüber verändern. Sie sind in der Lage, sich wertschätzend und erkundend auf ihre Dialog-Partner einzulassen. Was ihnen einzig anfangs noch schwer fällt, ist der Perspektivenwechsel – die Fähigkeit, eine Angelegenheit aus dem Blickwinkel eines anderen zu betrachten. Ein Beitrag von Rosy Henneberg, Lothar Klein und Herbert Vogt.
Erwachsene treten Kindern gegenüber dagegen häufig als Wissende, Belehrende, Vorauseilende und Ungeduldige auf. Sie wollen sie überzeugen, verändern, ihnen etwas »beibringen«, sie manchmal auch manipulieren. Erwachsene müssen, damit es zu einer dialogischen Beziehung zwischen ihnen und Kindern kommen kann, sich selbst beobachten, ihre Kommunikation und Haltung reflektieren. Es geht nicht darum, die Kinder zu belehren, sondern sich auf deren subjektive Wirklichkeit einzulassen. Die Sichtweise der Erwachsenen auf die Welt darf nicht mehr länger »die einzige« oder »die richtige« sein. Vielmehr kommt es darauf an, zu versuchen, sich der subjektiv ebenso folgerichtigen Sichtweise des Kindes verstehend zu nähern. Wichtig ist, die Ethik des Veränderns durch die Ethik des Verstehens ersetzen. Dann gelingt es Erwachsenen vielleicht sogar, sich selbst von Kindern beeinflussen zu lassen.
Was Dialog ausmacht
Der Dialog ist eine besondere Art, miteinander zu sprechen und einander zuzuhören. Er stellt die Theorie und Praxis des fruchtbaren Gesprächs dar. Eine Diskussion verharrt gerne im »Entweder-oder«, im Bemühen, sich gegen den Gesprächspartner zu behaupten. Im Dialog hingegen bezieht jeder einen Mehrparteienstandpunkt und betrachtet das Thema auch aus der Perspektive des Dialogpartners. Die eigene Lernhaltung ist Grundlage für jeden Dialog – ein Fluss von Gedanken und Bedeutung, ein gemeinsames Erkunden, ein Prozess gemeinschaftlichen Denkens. Dadurch können die vielfältigen Sichtweisen wirksam werden und etwas Neues kann entstehen.
Im Dialog muss die Einbahnstraße Erwachsener – Kind zugunsten einer Beziehung wechselseitiger Anerkennung (vgl. Dörfler/Leu 1998) ersetzt werden. Die Interaktions-Angebote Erwachsener an das Kind sind dann auch wirkliche Angebote. Als handelndes Subjekt entscheidet das Kind selbst, was es dann damit macht. In aller Klarheit hat dies der italienische Kinderarzt, Neurologe und Psychiater Adriano Milani Comparetti (1919-1986) erkannt und praktiziert. Er und seine Mitarbeiter stellten fest, dass sich Kinder bereits im Mutterleib eigenaktiv bewegen und nicht nur auf die Umwelt reagieren.
Was er bezüglich der Bewegung erfuhr, übertrug er schließlich auf die gesamte Entwicklung des Kindes. »Die Erkenntnis, dass das Kind ›Protagonist‹ beziehungsweise Hauptakteur seiner eigenen Entwicklung ist, führte Milani Comparetti dazu, im therapeutischen oder pädagogischen Zusammenhang gänzlich darauf zu verzichten, Kinder mit Reizen zu stimulieren, die nichts mit dem aktuellen Kontext zu tun haben« (Kobelt Neuhaus 2008, S. 27f.). Er weist ausdrücklich darauf hin, dass ein Kind sich nur entwickelt, wenn es das selbst will. Einseitige Stimulierung oder gar isoliertes Üben führe dagegen zum Absterben des Wunsches, sich selbst »aufzubauen«.
Folgerichtig sieht Milani Comparetti die ergebnisoffene Kommunikation von Erwachsenem und Kind als einzigen Weg der Entwicklungsförderung. Sie ist für ihn ein wechselseitiges Geschehen aus »Vorschlag und Gegenvorschlag«, wobei »Vorschlag« eine Initiative des Kindes und »Gegenvorschlag« die Antwort des Erwachsenen meint – allerdings im Sinne eines Entgegenhaltens ohne eigene Absicht. Daraus kann sich bildlich gesprochen eine nach oben offene Spirale ergeben (vgl. Kobelt Neuhaus 2008). Dieses dialogische Wechselspiel lebt davon, dass sich etwas nicht genau im Einklang befindet, sondern in einem produktiven Unterschied (der nicht zu groß, aber auch nicht zu klein sein darf). Es handelt sich um einen stetigen Prozess des Sich-Findens, Sich-wieder-Verlierens und Sich-wieder-Findens, aber »tief unten« muss es ein gemeinsames Schwingungsfeld geben.
Damit hat Milani Comparetti aus entwicklungspsychologischer Sicht einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, was aus philosophischer (z.B. Martin Buber) und organisationspsychologischer Sicht (z.B. David Bohm, William Isaacs, Peter Senge, L. Freeman Dhority, Martina und Johannes Hartkemeyer) schon länger thematisiert und praktisch entwickelt wird: Der Dialog ist eine Haltung und Kommunikationsform, die die Person, ihre subjektive Sinngebung und die fruchtbare Begegnung der Menschen in den Mittelpunkt rückt. So gewinnen wir die ethische und methodische Grundlage, dialogische Kommunikation auch in der Pädagogik von Kindertageseinrichtungen zu entwickeln.
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 08-09/12 lesen.