Begriffe versenken war gut. Aber was sagen wir stattdessen? – Gerlinde Lill macht Vorschläge.
Gribbelegrapsch ist ein Wort aus meiner Kinderzeit, das Generationen überlebte, weil es so wunderbar lautmalerisch ist. Ich möchte es gern verschenken und behalten, denn es macht Schweres leicht und zollt der Erfahrung Rechnung, dass Chaos zuweilen zum Leben gehört und sich bei aller Ordnungsliebe nie ganz vermeiden lässt.
Mit Vorliebe geraten so filigrane und zugleich lebenswichtige Dinge wie Brillen und Schlüssel in Gribbelegrapsch. Deswegen nenne ich mittlerweile fünf Brillen mein Eigen und beherzige Großmutters alten Spruch: Schlüssel am Ort kommt niemals fort. Aber Brille am Ort? Das klappt nicht. Auch wichtige Papiere haben die Angewohnheit, zeitweilig in Gribbelegrapsch zu geraten. Jedenfalls auf meinem Schreibtisch. Weil ich die Angewohnheit habe, alles Wichtige auf Haufen zu stapeln. Ob ein Kurs in Büroorganisation mir helfen würde?
Tohuwabohu
Wenn etwas in Gribbelegrapsch gerät, ist das Tohuwabohu nicht weit. Oder das Kuddelmuddel. Morgens suche ich zuweilen meinen Kaffeebecher, was aber weniger am Kuddelmuddel als vielmehr an der Zahl der Räume und damit der Möglichkeiten liegt, wo ich ihn abgestellt haben könnte.
Gribbelegrapsch ist also vielschichtig und lässt keineswegs den direkten Schluss zu, dass der Mensch, dem selbiges passiert, ein Chaot sei.
Was auch gern im Irgendwo verschwindet, das ist all der Krimskrams, den man ansammelt und dann doch nicht sortiert. Steine aus Griechenland, Muscheln vom Ostseestrand, Mitbringsel aus aller Herren Länder. Besonders mit Kindern ist man dem Ursprung der Menschheit sehr nahe und betätigt sich – wenn schon nicht als Jäger – gern als Sammler.
Kinder können bekanntlich fast alles gebrauchen und haben eine Tendenz zum Messi. Im Augenblick des Sammelns sind die Dinge ein Schatz. Jedenfalls für die Sammler. Mütter, die Ho-sentaschen leeren, erkennen solche Schätze oft nicht und entsorgen sie im Mülleimer. Eine Missachtung.
Kuddelmuddel
Es wäre mal interessant, mit Kindern darüber zu philosophieren, was einen Schatz zum Schatz macht, was sie und wir »grapschen«, um es zu horten.
Grapschen ist ein anderes Wort für sammeln, aufnehmen, hinlangen. Und von hinlangen ist es nicht weit zu angrapschen. Der Grapscher hat einen extrem schlechten Ruf. Gibt es auch einen Gribbelegrapscher?
Was steckt im Gribbel? Keine Ahnung. So wenig, wie beim Kuddelmuddel und seinem Ursprung. Ich kenne nur Kuddel, die plattdeutsche Variante von Kurt. Und Kuddel Daddeldu. So nannte Joachim Ringelnatz sich, wenn er Seemannsgarn spann.
Es ist mir eigentlich gar nicht so wichtig, was Gribbel oder Grabbel vom Ursprung her bedeuten. Hauptsache, es macht Spaß, mit solchen lautmalerischen, bildlichen Wörtern zu spielen. Und es schafft Zugehörigkeit.
Bestimmt kennen Sie das: Sie nutzen Begriffe, die nur in Ihrem ureigenen Erlebnishorizont existieren und die andere Menschen nichts sagen, deren Witz und Bedeutung sie nicht verstehen. Diese Wörter sind in einem bestimmten Umfeld gewachsen, quasi in einem familiären Sprachbiotop. Oder im Freundeskreis. Gemeinsame Erlebnisse werden in Sprachbilder gefasst und verwandeln sich irgendwann in sprachliche Traditionen. Wer nicht zu den Eingeweihten gehört, versteht kein Wort.
Wie wäre es, wenn wir solche Schatzwörter sammeln und daraus ein Spiel machen würden?
Zum Beispiel könnten wir das leidige »Aufräumen« mit mehr Vergnügen und spielerischer absolvieren, wenn wir eine Tohuwabohu-AG gründen, die im Kuddelmuddel gribbelt und nach Schätzen grabbelt? Wie Pippi Langstrumpf, die ja eine begnadete Sachensucherin ist. Es könnte zertifizierte Gribbelegrapscher geben, die verlorengegangene Hausschuhe suchen und besondere Werkzeuge dafür erfinden.
Solange keine Kinder in Gribbelegrapsch geraten, ist alles im grünen Bereich.
Ach ja – noch eine schöne Idee, die ich in allem Gribbelegrapsch gefunden habe: Die Wahrnehmung, dass kleine Kinder mit Hingabe im Buddelkasten nach Schätzen grabbeln, hat Krippenerzieherinnen auf die Idee gebracht, von Zeit zu Zeit einen »Schatzhaufen« zu gestalten, in dem alles Mögliche und Unmögliche versteckt ist. Eine Riesenfreude für die kleinen Gribbler und Grapscher.